Your job is to get your audience to care about your obsessions.
Martin Scorsese
Billy Bob Thornton als versoffenen, kettenrauchenden Zyniker zu besetzen – das ist jetzt zugegebenermassen nicht der peppigste Casting-Einfall aller Zeiten. Aber der aus höchsten Gefilden
abgestürzte Anwalt Billy McBride, den Thornton seit 2016 und nunmehr drei Staffeln in der Amazon-Serie «Goliath» gibt, ist eben mehr als nur das: Er ist auch eine versehrte Seele, ein nicht mal ganz so übler Vater und vor allem letzten
Endes ein ziemlich lieber Kerl, dessen scheinbare Gleichgültigkeit man auch als Gelassenheit lesen kann; Billy will einfach nur unbehelligt leben und lässt dafür die anderen auch geradeso leben,
wie sie das möchten. Das heisst: wenn sie denn nicht solche Schweinereien anstellen wie der Waffenkonzern in der ersten Staffel, der von seiner ehemaligen Kanzlei und daselbst unter anderem von
seiner Ex-Frau (Maria Bello) und seinem ihn mittlerweile abgrundtief hassenden Ex-Partner (William Hurt) vertreten wird. Einen übermächtigen, eben Goliath-haften Gegner hat Billy selbstredend
auch in den beiden anderen Staffeln, die zwar ebenfalls den Kampf gegen die Windmühlen der Justiz thematisieren, im Gegensatz zu der vergleichsweise traditionell gehaltenen ersten gleichwohl
neuere, zeitgemäss gewagtere Pfade beschreiten: In der etwas schwächeren zweiten Spielzeit, in der es bisweilen überaus ruppig zu- und hergeht, ist es ein mexikanisches Drogenkartell, das auf
vertrackte Weise mit der angehenden Bürgermeisterin von Los Angeles (Ana de la Reguera) verbandelt ist; und in der öfters mal halluzinogenen dritten Staffel, der künstlerisch bislang
avanciertesten, bietet Billy draussen im kalifornischen Central Valley einem milliardenschweren Landwirtschafts-Tycoon (Dennis Quaid) die Stirn, der seinen Nachbarn buchstäblich das Wasser
abgräbt.
«Goliath» ist also zweifelsohne Billy Bob Thorntons Show – es ist das sein bester Auftritt seit Langem, ziemlich sicher sogar seit «Bad Santa» und mithin anderthalb Jahrzehnten; jedenfalls haben
sie ihm für diese tiefgründige, vielschichtige und doch schnoddrig-coole Performance mit allem Recht der Welt 2017 den Drama-Golden-Globe zugesprochen. Der Star ist aber hier nicht allein auf
weiter Flur. Da sind die angesprochenen zeitlich begrenzten Engagements von Gaststars wie Hurt, Bello und Quaid (zu denen sich noch knackige Gustostückerl etwa von Dwight Yoakam, Graham Greene,
Amy Brenneman, Mark Duplass, Beau Bridges, der wunderbaren Molly Parker, der sagenhaft talentierten Olivia Thirlby und der abgetauchten «Twin Peaks»-Ikone Sherilyn Fenn gesellen); vor allen
Dingen aber wissen auch die übrigen Stammspielerinnen zu gefallen: Nina Arianda als Billys immer ein bisschen genervte Partnerin, die sich trotz ihres typischerweise eher unpraktischen Schuhwerks
glänzend auf den gepflegten Arschtritt versteht; Tania Raymonde als taumelndes Callgirl, das für den aus einer Bar und einem Motelzimmer heraus operierenden Billy nicht nur das Sekretariat,
sondern dann und wann auch «Spezialaufträge» erledigt; oder Diana Hopper als Teenagertochter, die tatsächlich nicht nervt. Immer wieder grandios ist freilich auch, was die Regie hier leistet,
allen voran der Fernsehroutinier Lawrence Trilling («Alias», «Damages», «Rectify»), der 16 der total 24 Folgen inszeniert hat. Nicht unähnlich der ebenfalls von Amazon produzierten Krimiserie
«Bosch» ist auch «Goliath» ein höchst stimmungsvoller Streifzug durch L.A. und sein Umland, auf dem die touristischen Hotspots und die Welt der Reichen und Schönen ebenso abgeklappert werden wie
die schummrigen Winkel und schmierigen Ecken mit ihren Stritzis und Strolchen, den traurigen Träumern und gefallenen Engeln.
Dies ist der Film, für den Grace Kelly 1955 ihren Oscar erhielt. Und das notabene als zweite Wahl und nur, weil die ursprünglich vorgesehene Jennifer Jones schwanger wurde und deren mächtiger
Ehemann David O. Selznick sich in seiner Funktion als Produzent am Ende doch noch davon abbringen liess, seine Gattin trotzdem zu besetzen. Für Kelly, die zu dieser Zeit gerade zur
Lieblingsschauspielerin von Alfred Hitchcock avanciert war und bereits in «Dial M for Murder» und «Rear Window» mitgespielt hatte («To Catch a Thief» sollte noch folgen), war die
(Charakter-)Rolle der desillusionierten Gattin eines alkoholkranken einstigen Broadway-Stars (Bing Crosby) die grosse Chance, sich zur ernst zu nehmenden Mimin weiterzuentwickeln. Und in der Tat
ist George Seatons «The Country Girl», die
Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Clifford Odets, am Ende zuvörderst ein Fest der Schauspielkunst, zu dem neben Kelly aber auch Crosby als weinerlicher notorischer Lügner ebenso einen
gewichtigen Teil beiträgt wie Hauptdarsteller Sterling Hayden als Broadway-Regisseur, der dem schon vor langer Zeit abgestürzten Traumtänzer gegen alle Widerstände eine letzte Chance geben
möchte.
Gehörig zu beeindrucken weiss dieses siebenfach Oscar-nominierte Drama indes auch durch seine für die damalige Kinozeit recht unverblümten Dialoge und den ziemlich ungeschminkten Umgang mit
schwierigen Themen. Direkt als kontrovers lässt sich «The Country Girl» zumal aus heutiger Sicht zwar nicht taxieren; doch gibt es hier immer wieder Momente von beinahe überrumpelnder Intensität.
Dass der Film am Ende auch mal auf Soap-Opera-Terrain abdriftet, fällt dann insofern kaum ins Gewicht, als Seaton, der anderthalb Jahrzehnte später mit dem Katastrophenthriller «Airport» nochmals
einen Riesenhit landen sollte, auch diese Momente eher delikat und nüchtern inszeniert. Eher auf der pikanten, um nicht zu sagen gepfefferten Seite findet sich derweil eine dieser typischen
wilden Hollywood-Anekdoten, die «The Country Girl» umrankt. So sollen Kelly und Crosby während der Produktion eine Affäre miteinander unterhalten haben. Als Kelly dann den Oscar erhielt, soll
Cosby sie in Erwartung, die Nacht mit ihr zu verbringen, in ihrem Hotelzimmer aufgesucht haben – nur um dort Marlon Brando, der ihm früher am Abend den Oscar weggeschnappt hatte, in ihrem Bett zu
anzutreffen...
Es war wahrlich keine einfache Aufgabe, derer sich Drehbuchautor Arnold Schulman («Tucker») und Regisseur Roger Spottiswoode («Shoot to Kill») hier vor fast 30 Jahren annahmen: das extensiv
recherchierte 600-seitige Bestseller-Sachbuch «And the Band Played On: Politics, People, and the AIDS Epidemic» von Randy Shilts in zweieinhalb Stunden packendes Fernsehen zu verdichten.
Natürlich aber war das eine noble Sache, ein absolut ehrenwertes Unterfangen und ein überaus wichtiges obendrein, war doch in den frühen Neunzigern, als «And the Band Played On» auf HBO ausgestrahlt wurde, noch
einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten in Bezug auf die AIDS-Pandemie. Freilich verfolgt dieser Film – wie seine Vorlage – ein noch weit umfangreicheres Ziel: Minutiös schildert er den Verlauf
dieser Katastrophe von A bis Z und aus allen relevanten Blickwinkeln. Im Zentrum stehen dabei die Forscher der Centers for Disease Control and Prevention und deren Kampf nicht nur gegen das in
puncto Verbreitungsarten und Kerneigenschaften quälend lange nicht fassbare Virus, sondern auch gegen die Vorurteile der Öffentlichkeit, die störrische Obstruktion der Schwulenszene, einen eitlen
Kleinkrieg zwischen amerikanischen und französischen Forschenden, die giergetriebenen Störmanöver der Gesundheitsindustrie und die widerliche Gleichgültigkeit der Regierung Reagan.
Trotz der Komplexität der Materie und der zahlreichen Haupt- und Nebenschauplätze wird das zwischen medizinischem Dokudrama und gesellschaftskritischer Mystery-Story pendelnde Geschehen nie je
konfus – was nachgerade einem kleinen Wunder gleichkommt und einen vor Regie und Drehbuch verneigen lässt. Mächtig Eindruck und viel Freude machen zudem die Parade von Charakterköpfen wie Matthew
Modine, Alan Alda, Ian McKellen, Patrick Bachau oder Richard Jenkins in den zentralen Parts und das Schaulaufen von Stars wie Phil Collins, Richard Gere, Anjelica Huston oder Steve Martin in
Gastauftritten. Keinesfalls übertüncht wird von diesem Glamourfaktor freilich die Wut und die Trauer, die Shilts’ Vorlage durchziehen: Die Filmemacher vergessen nie, dass sie hier auf einer
Mission sind, dass sie eine Botschaft auszusenden haben, die bis ins Heute nachhallt, in die Knochen fährt und Mark und Bein erschüttert. Noch mehr als das gute 20 Jahre später ebenfalls für HBO
produzierte Drama «The Normal Heart», das die AIDS-Krise aus Aktivistensicht beleuchtet, gibt «And the Band Played On» eine so erhellende wie bewegende, faktenbasierte und gleichzeitig
empathische, in jeder Hinsicht lehrreiche Übersicht über eine menschliche Katastrophe fürchterlichsten Ausmasses und pflegt dabei auf würdevolle Art und Weise das Andenken an dessen Opfer.
Dass man aus Richard Wilders Romanvorlage von 1942 fast vier Jahrzehnte später eine Soap-Opera fabrizieren würde, macht rückblickend betrachtet durchaus Sinn. Dass diese es trotz Cracks wie John
Beck («Dallas»), David Selby («Falcon Crest») oder Morgan Fairchild («Dallas» und «Falcon Crest») auch angesichts der übermächtigen Konkurrenz dann nur auf zwei Staffeln bringen würde, war indes
kein übermässiges Unglück. Schliesslich gibt es noch dieses wundervolle Film-noir-Drama aus dem Jahr 1949 von «Casablanca»-Regisseur Michael Curtiz, das ebenfalls auf Wilders Roman und der später
daraus adaptierten Bühnenversion basiert. Die unvergleichliche Joan Crawford, die vier Jahre zuvor unter Curtiz bereits in «Mildred Pierce» brilliert hatte, läuft hier in der Rolle der
Tingeltangeltänzerin Lane Bellamy abermals zu absoluter Hochform auf. Wobei sie in dem nicht eben vital und viril wirkenden Sydney Greenstreet nicht nur einen ebenso gut aufgelegten
Sparringspartner hat, sondern in dem von ihm verkörperten herzlos mauschelnden Kleinstadt-Sheriff Titus Semple auch einen würdigen Gegenspieler, der es sich von aller Anfang an zum Ziel gesetzt
hat, Lane aus der Stadt, aus «seiner» Stadt, zu verjagen. Dies nicht zuletzt darum, um sie von seinem Zögling Field Carlisle (Zachary Scott) fernzuhalten. Diesen möchte Semple zum Senator
aufbauen, damit er ihm als Marionette zur Machtsicherung dienen möge. Doch dafür braucht dieser zunächst den passenden Leumund; und dazu trägt eine Affäre mit einer wie Lane ganz sicher nicht
bei.
«Flamingo Road» wurde seinerzeit von der
Kritik zerrissen. Und auch Crawford selbst meinte später: «Ein weiterer Reinfall. Das Drehbuch war schlecht, Curtiz war schlecht, ich war schlecht.» Hauptkritikpunkte waren angebliche Logiklöcher
in der Handlung und der Figurenzeichnung. Doch das ist nun wirklich Lamentieren auf allerhöchstem Niveau! Mag sein, dass richtige Menschen eher nicht so agieren wie die Protagonisten dieses
Lehrstücks über die skrupellosen Mechanismen von Macht und Politik. Doch wen interessieren schon richtige Menschen, wenn man einer Leinwandgöttin wie Crawford dabei zusehen darf, wie sie als
abgehalfterte Aussenseiterin vom Zirkuszelt im Verlauf von rund anderthalb Stunden in die Luxusvilla des mächtigsten Politstrategen des Staates emporklettert, wie sie sich als Mädel von der
«wrong side of the tracks» aus schäbigen Strassenkleidern schält, sich an der Prestige symbolisierenden titelgebenden Flamingo Road in einen voluminösen Nerz wirft und bei alledem immer unsere
Heldin, die unumstrittene Sympathieträgerin bleibt. Und es mag ja ebenfalls sein, dass im richtigen Leben die Verhältnisse fester zementiert sind und eine einfache Kellnerin und Tänzerin wie Lane
einem Schlachtross wie Semple nicht derart Paroli bieten kann. Aber wen kümmert das bitte sehr, wenn man dafür solche Bonmots wie dieses serviert bekommt: «Schauen Sie, ich vergesse nie etwas.» –
«Ach wissen Sie, Sheriff. Wir hatten im Zirkus mal einen Elefanten mit einem solchen Gedächtnis. Er ging auf einen Wärter los, gegen den er fast 15 Jahre lang einen Groll hegte. Er musste
erschossen werden. Und Sie glauben gar nicht, welche Probleme es mit sich bringt, einen toten Elefanten zu beseitigen.» Sehen Sie? Und deshalb also: Zum Teufel mit dieser elenden,
Filmmagie-feindlichen Logik und ein Hurra auf dieses Filmjuwel aus Hollywoods goldener Ära.
Aus Kanada sind in letzter Zeit ja einige interessante (Independent-)Streifen gekommen. So auch dieser mit bescheidenem Budget produzierte hochgelobte Sci-Fi-Horrorfilm des jungen Regisseurs und
Drehbuchautors Anthony Scott Burns. «Come
True» handelt von der Ausreisserin Sarah (Julia Sarah Stone), die an einer experimentellen Schlafstudie teilnimmt, damit sie nicht weiterhin unter freiem Himmel pennen muss. Unter der
Leitung eines recht gefürchigen Arztes mit monströs grosser Brille (Christopher Heatherington) und seines zwischen Creep und Nerd oszillierenden Assistenten Jeremy (Landon Liboiron) werden hier
die (Alb)träume der Studienteilnehmer visualisiert – zu welchem Zweck, bleibt vorerst unter der Decke. Klar scheint in dieser von Unklarheiten beherrschten Geschichte nur, dass sich das Ganze in
einer zwielichtigen Zone bewegt.
Betitelt sind die einzelnen Kapitel von «Come True» mit Schlüsselideen aus Carl Jungs Theorien: «The Persona», «The Animus or Anima» und «The Shadow and the Self». Doch man muss sich jetzt nicht
der Psychoanalyse verschrieben haben, um zu verstehen, worum es hier geht – oder besser: um zu erspüren, was das alles bedeuten könnte. Umgekehrt ist es auch wenig wahrscheinlich, dass
eingefleischte Jungianer Burns’ Intentionen komplett zu dekodieren vermögen; denn vieles bleibt auf diesem Höllenritt durch die Albtraumwelten eines verstörten Teenagers blosse Andeutung,
verharrt unter bedrohlichen Synthieklängen in der Unschärfe und öffnet so einen horrend weiten Raum für Interpretationen. Ob man diesen auch tatsächlich zu betreten wagt, ist freilich eine andere
Frage. Und wirklich nötig ist das eh nicht, zumal es letztlich doch nebensächlich ist, was diese Hirngespinste denn en détail zu bedeuten haben oder vorgeben. Viel entscheidender ist das Gefühl
namen- und gesichtslosen Schreckens, das sie in einem auslösen. Und natürlich das kommende Wundertaten verheissende Talent, das nicht nur Regisseur Burns, sondern auch Hauptdarstellerin Julia
Sarah Stone hier an den Tag legt.
Nachdem sein Jugendfreund Luke seine Frau, seinen Sohn und sich selbst erschossen hat, kehrt der Bundespolizist Aaron (Eric Bana) für die Beerdigung in sein von einer hartnäckigen Dürreperiode
gebeuteltes Heimatkaff mitten im australischen Nirgendwo zurück, das er einst als Teenager fluchtartig verlassen hatte. Von Lukes Familie wird Aaron gebeten, sich doch noch mal des nur
vordergründig klaren Falls anzunehmen; die lokale Bevölkerung heisst ihn dabei freilich alles andere als herzlich willkommen, verdächtigt sie ihn doch nach wie vor des 20 Jahre zurückliegenden
Mordes an der 17-jährigen Ellie, mit der er und Luke eine unzertrennliche Clique bildeten. Immerhin kann er auf die emotionale Unterstützung von Gretchen (Genevieve O’Reilly) zählen, die Vierte
im Bunde von damals, sowie die Hilfe des leicht überforderten örtlichen Sergeant (Keir O’Donnell). Und tatsächlich stösst Aaron rasch auf Ungereimtheiten in den Ermittlungen und macht erste
Verdächtige aus. Gut möglich sogar, dass die grauslichen Geschehnisse um seinen einstigen Kumpel etwas mit dem Mord an Ellie zu tun haben.
Die Bestselleradaption «The Dry» (2020) ist
eine der erfreulicheren Überraschungen in dieser doch so ausgetrockneten Periode filmischen Schaffens. Inszeniert vor einer wirkmächtigen Kulisse in Victoria, erzählt Regisseur Robert Connolly
hier über zwei Stunden in ruhigem, aber nicht behäbigem, im gerade richtigen Tempo eine Geschichte nicht nur um einen spannend verworrenen Kriminalfall, sondern auch um eine ganz persönliche
Spurensuche. Mit sattelfestem Gespür für dezente Suspense, sicherem Sinn für Timing und in kohärent seriös-melancholischem Ton nähert er sich Schritt für Schritt der Wahrheit, schweift hierfür
immer wieder in die tumultöse Vergangenheit ab oder streift auch einfach mal gleichsam ziellos in der mystisch kargen Gegend umher –dies indes, nicht ohne die eine oder andere falsche Fährte zu
legen. Dass er seinem Protagonisten dabei keine allzu klaren Konturen verpasst, ist derweil nur scheinbar ein Versäumnis; dadurch, dass wir so wenig über Aaron in Erfahrung zu bringen vermögen –
darüber, wer er eigentlich ist und wie er tickt –, können wir uns nämlich nie so ganz sicher sein, woran wir bei ihm wirklich sind. Und das ist für einen klassischen, ziemlich wendungsreichen
Whodunit, der «The Dry» bei allem visuellem Protzen und psychologischem Schürfen am Ende immer noch ist, gewiss nicht die schlechteste Sache.
Nein, Bud Corliss (Robert Wagner) ist nicht die Sorte von Bösewicht, mit der man mehr oder weniger heimlich mitfiebert. Denn dieser zwar durchaus charmante und sicherlich fesche, aber diabolisch
skrupellose 25-Jährige, der noch immer am College rumlungert, ist ein waschechter Soziopath: Um den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen und also an Reichtum zu gelangen, geht er buchstäblich
über Leichen. Umso widerwärtiger ist Buds Verhalten, als sein erstes Opfer eine blütenweise Seele ist, die ihn bedingungslos und blindlings anhimmelt. Entsprechend viel Mitleid empfindet man mit
der gutmütig gutgläubigen Dorothy Kingship (Joanne Woodward), einer Kommilitonin aus überaus wohlhabendem Hause, die von Bud ungewollt schwanger ist und nun den Bruch mit ihrem herrischen Vater
fürchtet. Bud freilich gaukelt ihr vor, dass er Verantwortung übernehmen und sie ehelichen werde, wo er doch in Wahrheit mehrfach versucht, das ungeborene Kind zu töten, etwa indem er Dorothy
eine Treppe hinunterstösst oder ihr giftige Mittelchen aufschwatzt. Als diese heimtückischen Versuche sonders fehlschlagen, entschliesst sich Bud, sein «Problem» an der Wurzel zu packen, und
bringt Dorothy um.
«A Kiss Before Dying» (1957) beruht auf dem
gleichnamigen Roman von Ira Levin, der es später mit spektakulär adaptierten Werken wie «Rosemary’s Baby», «The Stepford Wives» oder «The Boys from Brazil» gerade auch im Kino zu Weltruhm bringen
sollte. 1991 gab es davon auch noch ein Remake mit Matt Dillon, doch das Original ist um Längen besser: ein visuell herausragender Film in Technicolor, der als Melodram im Stile von Douglas Sirk
beginnt und dann in ein nervenaufreibendes Psychospiel mit deutlichem Noir-Einschlag mündet. Stimmungsvoll und mit Bedacht inszeniert wurde das vom Deutschen Gerd Oswald («Schachnovelle»), dem
Sohn des Stummfilmregisseurs Richard Oswald, der hier ein eindrucksvolles Debüt ablegte. Eine mittlere Sensation war gar die Besetzung des auf «den netten Jungen» abonnierten Robert Wagner in der
Rolle des seelenlosen Mörders und ein kleiner Skandal schliesslich das «ehelos schwangere» Mädel – ein Aspekt des Films, der in der Werbung tunlichst ausgespart werden musste.
Dies ist der Lieblingsfilm von Clint Eastwood. Ein Western, schon klar, aber was für einer! Gedreht 1942, als das Genre erst gerade wieder aus der Versenkung auferstanden war, packt «The Ox-Bow Incident» einige für die damalige Zeit
bemerkenswert heisse Eisen an und beeindruckt mit einer eher unüblich tiefschürfenden und letztlich geradezu erschütternden Menschlichkeit. Die Geschichte um einen dürftig informierten Mob aus
einem Kaff in Nevada, der sich getrieben von wilder Rachlust aufmacht, die – vermeintlichen – Mörder eines lokalen Farmers zu lynchen, kann mit Blick auf die Fake-News-Problematik auch heute noch
als Warnung dienen. Gedacht war das damals aber als Anklage gegen den Faschismus – ob den europäischen oder den amerikanischen, darüber scheiden sich indes die Geister. Ungewöhnlich ist dabei
nicht zuletzt auch die Erzählperspektive: Es ist die des zynischen Verlierers Gil (Henry Fonda), der sich zwar des schreienden Unrechts bewusst ist, dessen Zeuge er gerade wird – der das Ganze
aber mehr oder weniger stillschweigend geschehen lässt: keine pathetischen Worte, keine hehren Taten und mithin kein Vergleich zum Geschworenen Nummer 8 aus «Twelve Angry Men», mit dessen
Verkörperung Fonda eineinhalb Jahrzehnte später unsterblich werden sollte. Angeprangert wird die menschliche Katastrophe, der die angeblichen Viehdiebe Dana Andrews, Anthony Quinn und Francis
Ford zum Opfer fallen, zwar sehr wohl; dies aber in betont bedachtem, ja fast schon sachlichem Ton.
«The Ox-Bow Incident» ist alles andere als ein Wohlfühlfilm. In nur gerade 75 Minuten offenbart er fast alles Schlechte, wozu Menschen fähig sind, und kaum etwas, was Hoffnung macht. Beruhend auf
dem gleichnamigen Roman von Walter Van Tilburg Clark, hat der Vielfilmer William A. Wellman («A Star Is Born») hier einen Western um Selbstjustiz und Mitläufertum gedreht, der mehr
Gerechtigkeitsdrama ist und in seiner düsteren Grundstimmung bisweilen wie ein Film noir anmutet. Als «so scharf und kalt wie ein Messer» hat die «New York Times» damals Wellmans Inszenierung
geadelt und zugleich den Mut der Macher gelobt, einen kommerziell derart wenig versprechenden Film auf den Markt zu bringen. Immerhin: Den Test der Zeit hat «The Ox-Bow Incident» mit Bravour
bestanden. Wer das nicht glaubt, kann ja nochmals bei Clint Eastwood nachfragen.
Von dem guten halben Dutzend erstaunlichen Filmen, die die Kinopionierin Ida Lupino in den Fünfzigerjahren als Regisseurin verantwortete, ist «The Bigamist» (1953) der ziemlich sicher
erstaunlichste. Mit dem für Lupino typischen Mut zur Kontroverse erzählt dieses Drama von einem eigentlich ganz gewöhnlichen Mann mittleren Alters, der sich in eine gänzlich ungewöhnliche,
rechtlich verbotene und moralisch verwerfliche Situation hineinmanövriert hat. Harry Graham (Edmond O’Brien) war doch nur einsam und fühlte sich von seiner unfruchtbaren und infolgedessen allzu
sehr auf ihre Karriere fokussierten Frau Eve (Joan Fontaine) vernachlässigt, als er auf einer seiner Geschäftsreisen von San Francisco nach Los Angeles mit der Kellnerin Phyllis (Lupino)
anbandelt: Zunächst noch platonisch zwar, doch schon beim nächsten Trip in die Stadt der Engel kommen bereits romantische Gefühle hoch, und eines Nachts, an Phyllis’ Geburtstag, geschieht
schliesslich das Unvermeidliche. Noch aber ist Harry nicht bereit, seine Ehe aufzugeben, und beim x-ten Versuch, die Dinge geradezurücken, hört ihm Eve dann auch endlich zu, und die beiden
beschliessen, das Geschäftliche hintanzustellen und sich um eine Adoption zu bemühen. Doch gerade als alles ins Lot zu kommen scheint, trifft ihn auf seinem nächsten Aufenthalt in L.A. der
Schicksalshammer: Phyllis, die nichts von seiner Ehe weiss, ist schwanger; und weil Harry ein pflichtbewusster Mensch ist, tut er das, was ihm als das einzig Richtige erscheint: Er heiratet
Phyllis und führt fortan so lange ein Doppelleben zwischen den beiden kalifornischen Metropolen, bis ihm der Berater der Adoptionsagentur (Edmund Gwenn) auf die Schliche kommt.
Es ist ja eine Ungeheuerlichkeit, die Lupino hier schildert. Doch von Empörung findet sich in «The Bigamist» trotzdem keine Spur. Ihrem so unperfekten Antihelden bringt Lupino stattdessen einiges
an Verständnis entgegen, ohne aber sein Verhalten zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen. Harry ist ein gebrochener Mann; und egal, was im Gerichtssaal, in dem die Geschichte schliesslich
landet, entschieden wird: Es kann nicht so schlimm sein wie die Strafe und die Verachtung, die er sich längst selbst auferlegt hat. Dass Lupino dieses Drama nicht sensationalisiert und bewusst
mehrdeutig hält, ist denn auch die hervorstechendste Qualität dieses Films, mitnichten aber die einzige herausragende. Neben den vier Hauptdarstellern ist da vor allem auch Lupinos stringente
Inszenierung zu nennen, dank der diese 80 Minuten wie im Flug vergehen und trotzdem einen nachhaltigen, gleichsam quälend eindringlichen Eindruck hinterlassen. Darüber hinaus bot «The Bigamist»
für das damalige Publikum eine besonders pikante Note: Geschrieben und produziert wurde der Film von Collier Young, der damals mit Joan Fontaine verheiratet war und kurz davor von Lupino
geschieden worden war. Und noch etwas Erstaunliches an diesem erstaunlichen Werk: Es ist dies der erste amerikanische Film, bei dem der weibliche Star auch Regie geführt hat.
1947 drehte Delmer Daves den Klassiker «Dark Passage» mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall. Doch dies war nicht der einzige grosse Wurf, der dem Mann, der sich später einen Namen als
Westernspezialist («Broken Arrow», «3:10 to Yuma») machen sollte, in diesem Jahr gelang. Mit «The Red House» legte er auch noch einen stupenden psychologischen Horrorthriller mit Noir-Einschlag vor, eine Literaturverfilmung,
die zu den Favoriten Martin Scorseses gehört. Sie erzählt von der braven Teenagerin Meg (Allene Roberts), die mit ihren Adoptiveltern Pete und Ellen (Edward G. Robinson und Judith Anderson) auf
einer abgeschiedenen Farm ein genügsames, wenn auch – zumal von aussen betrachtet – ein wenig mysterienumranktes Dasein fristet. Mit der Ruhe ist es indes vorbei, als Meg es schafft, den
handicapierten Pete davon zu überzeugen, ihrem feschen und wohl durchaus an ihr interessierten Klassenkameraden Nath (Lon McCallister) einen Job zu geben. Nun kriechen die Dämonen der
Vergangenheit hervor und zerren ein düsteres Geheimnis nach und nach ans Licht, das irgendwie mit einem ominösen roten Haus da draussen in den Wäldern zusammenhängt, in diesen «bösen Wäldern»,
die auch den jungen zaghaft Liebenden zum Verderben zu werden drohen.
«The Red House» mag zwar kein perfekter Film sein; seine Handlung driftet bisweilen etwas ins Repetitive. Doch vermag die konzise Inszenierung einen über die vollen 100 Minuten Spielzeit in Bann
und Atem zu halten. Daves gelingen dabei immer wieder fulminante Bilder und spektakuläre Einstellungen, die vom wuchtigen Soundtrack des dreifachen Oscar-Gewinners Miklós Rózsa kongenial
untermalt werden. Durchs Band stark spielt zudem die auf ein rundes halbes Dutzend Akteure begrenzte Besetzung auf. Entsprechend ungerecht ist es, dass diesem vor psychologischer und sexueller
Spannung berstenden Low-Budget-Thriller nie die ganz grosse Aufmerksamkeit zuteilwurde und er inzwischen längst ein wenig der Vergessenheit anheimgefallen ist.
Eine der angenehmeren Überraschungen des an Erquicklichem nicht eben reichen letzten Filmjahrs war diese mit kleinem Geld produzierte kanadische Krimikomödie. Sie handelt von dem 32-jährigen Abe
Applebaum (Adam Brody), der in seiner Kindheit ein Lokalheld und ein überaus populärer, fast schon brillanter und ziemlich erfolgreicher Hobbydetektiv war. Mittlerweile freilich ist Abe zur
Witzfigur verkommen: Wenn er nicht gerade an einem Kater laboriert oder sich in Selbstmitleid suhlt, kümmert er sich um Trivialitäten, die eines Erwachsenen eigentlich unwürdig sind; kein Wunder,
machen sich Freunde und Familie Sorgen und die meisten anderen lustig über ihn. Nun aber könnte sich das Blatt wenden, denn nun soll Abe endlich einmal einen richtigen und wichtigen Fall
aufklären: Die Highschool-Schülerin Caroline (Sophie Nélisse) beauftragt ihn, den Mord an ihrem Freund zu untersuchen. Und wie sich weisen wird, erhält Abe dabei nicht nur die Chance, sich und
seine Reputation zu rehabilitieren, sondern auch ein fast zwei Jahrzehnte zurückliegendes Traum zu verarbeiten.
Mit seinem Langfilmdebüt «The Kid Detective»
hat Regisseur Evan Morgan einen hoch kompetent und bisweilen sogar kunstvoll inszenierten kurzweiligen Krimispass und vor allem etwas hochgradig Originelles erschaffen: ein filmisches Unikum, das
man nicht so schnell vergisst. Im Stil und in der Sprache des Film noir fächert der junge Kanadier hier mit augenzwinkerndem Charme, einer grossen Portion schwarzen Humors und in farbenfroher
Fifties-Nostalgie einen Mordfall auf, der sich am Ende doch noch als mehr erweist als blosse Dekoration; ja der sich letzten Endes sogar noch als eine ziemlich düstere Sache herausstellt und dem
zuvor so leichtfüssigen Film eine bittere Note verleiht. Verblüffend ist es, wie versiert Morgan nicht nur die eigentlich wenig kompatiblen Elemente mischt, sondern auch die Verschiebung in Ton
und Thematik meistert. Und bärenstark ist es, wie Hauptdarsteller Adam Brody diesem aus- und abgebrannten Typen die Sympathien sichert und ein bisschen Würde zurückerkämpft.
Ein abgewrackter Privatdetektiv mit Alkoholproblem und Kriegstrauma, sehr schlechten Umgangsformen und voller zynischer Weltverdrossenheit: Nein, das ist definitiv nicht das, was man zu sehen
erwartet hat, als vor rund fünf Jahren verkündet wurde, Starschreiber Nic Pizzolatto («True Detective») arbeite an einer von Robert Downey Jr. produzierten Ursprungsgeschichte zu Perry Mason –
diesem so beliebten wie beleibten Anwalt aus dem Fünfziger- und Sechzigerfernsehen, dessen Mandanten samt und sonders unschuldig zu sein pflegten und der jeden einzelnen Fall gewann. Natürlich,
der Name Pizzolatto musste hellhörig machen; schliesslich ist das keiner, der es glatt und clean mag, sondern vielmehr einer, bei dem es ordentlich zur Sache geht, wo sich erbarmungslos Abgründe
menschlicher Grausamkeit auftun und schwarze Seelen in mondloser Nacht ihr gottloses Unwesen treiben. Aber Perry Mason ist nun mal eine in 271 Folgen und später in den Achtzigern und Neunzigern
dann in 30 Spielfilmen modellierte Ikone eines braveren Fernsehzeitalters, quasi ein Columbo im Gerichtssaal. Der wird doch nicht... O doch, der wird. Und wie der wird, auch wenn Pizzolatto am
Ende dann wegen Terminkollisionen gar nicht mehr dabei war und durch die «Friday Night Lights»-Schreiber Rolin Jones und Ron Fitzgerald ersetzt wurde.
Was Jones und Fitzgerald da kreiert und TV-Veteran Tim Van Patten («The Sopranos») und die türkische Regisseurin Deniz Gamze Ergüven («Mustang») inszeniert haben, ist ein rabenschwarzer Noir und
knallharter Hardboiled. Angesiedelt im prosperierenden Los Angeles nach der Grossen Depression und während der Prohibition, erzählt «Perry Mason» die medial gehypte Geschichte einer
brutal schiefgegangenen Kindsentführung. Mason (Matthew Rhys aus «The Americans») soll im Auftrag des Anwalts E.B. Jonathan (John Lithgow) die Unschuld von dessen Mandantin beweisen und muss sich
dabei durch ein Dickicht aus Klüngel und Korruption kämpfen und in einem Morast moralischer Verrohung waten. Mit wilder Lust zur eleganten Bildgewalt wird die pulsierende, brodelnde,
hyperventilierende Stadt der gefallenen Engel in acht circa einstündigen Folgen noch etwas prächtiger und spektakulärer als das Atlantic City der zeitlich ähnlich verankerten Saga «Boardwalk
Empire» in Szene gesetzt, derweil sich die etwas überladene und wankelmütige Story, in die auch noch ein bisschen Hollywood, eine Sektengeschichte und unvermeidlich zeitgeistig Rassen- und
Genderthemen gepackt werden, eher schleppend entwickelt. Es braucht da ein bisschen Geduld und bisweilen auch den Langmut, diese Drehbuchschwächen wegzuschnippen wie eine fertig gerauchte
Zigarette. Aber wenn es zwischendurch auch mal zäh und fad wird, so sind da nebst den fulminanten Schauwerten immer noch die fantastischen Darsteller: neben dem sowieso verlässlichen Rhys etwa
Juliet Rylance als toughe Sekretärin Della Street, die hier nicht Perry anhimmelt, sondern lesbisch ist, oder Shea Wigham als hallodrihafter Sidekick, Chris Chalk, dessen Paul Drake einerseits
schwarz und andererseits zunächst Streifenbulle ist, und nicht zuletzt die grandiose Tatiana Maslany («Orphan Black») in der Rolle der charismatischen Predigerin Sister Alice. Was für ein wilder
Ritt diese kernig erwachsene HBO-Version von «Perry Mason» doch ist. Und in der nächsten Staffel sind dann sicher auch die Drehbücher etwas besser redigiert.
Es ist schon so, dass Michael Mann in seiner ruhmreichen Karriere gelungenere Filme gedreht hat als «Ali». Und dass diese mittlerweile 20 Jahre alte Sportlerbiografie eine recht zähe und aufgrund ihrer historischen Gewissenhaftigkeit
im Grossen und Ganzen ziemlich kopflastige Angelegenheit ist – das kann man durchaus so stehen lassen. Umgekehrt aber war dieser Grossmeister seines Fachs, dem wir Meilensteine wie «Heat», «The
Insider» und «Collateral» verdanken, nie besser als in den Schlussminuten von «Ali»: in der Inszenierung des «Rumble in the Jungle» also, des Weltmeisterschaftskampfs zwischen den Schwergewichten
Muhammad Ali und George Foreman vom 30. Oktober 1974 in Kinshasa um drei Uhr morgens Ortszeit vor 100'000 ekstatischen Zuschauern, der nach einhelliger Historikermeinung als bedeutendstes
Sportereignis aller Zeiten gilt.
Dass diese letzten rund zehn Minuten eine solch wuchtige Wirkung entfalten, hat natürlich eine Menge damit zu tun, dass Mann und sein überragender Hauptdarsteller Will Smith in den
vorangegangenen zweieinviertel Stunden viel Energie darauf verwendet haben, dieses kommende Ereignis mit Bedeutung aufzuladen. Doch die schiere Brillanz, die im zairischen Nachthimmel funkelt,
wenn sich diese Spannung entlädt, dieses emotionale Erdbeben, das Mann auslöst, als der ewig tänzelnde und gleichsam abwesend wirkende Ali den trägen und zusehends müden Koloss Foreman in die
Knie und endlich auf die Bretter zwingt – auf das war man dann doch nicht wirklich vorbereitet. Denn was Mann in diese letzten Runden seines Filmkampfs packt – die sporthistorische, die
politische und die persönliche Bedeutung dieses Dramas, dieses in den letzten Zügen errungenen, in nobler Weise die Würde des Verlierers bewahrenden Triumphs, die auf dem Zahnfleisch kriechende
Tragik, die an Besinnungslosigkeit grenzende Erschöpfung –, das ist unendlich berührend, unfassbar erschütternd, das ist nichts weniger als magisch, und das ist der Grund, warum wir ins Kino
gehen. Und folgerichtig ist es ja grad auch, dass Mann dem wichtigsten Ereignis der Sportgeschichte die womöglich besten Momente der Sportfilmgeschichte hat angedeihen lassen.
Jetzt, wo der Winter unseres Trump-Missvergnügens endlich vorbei ist, wird es Zeit, sich den Schandtaten jenes Mannes (und der Frau hinter ihm) zu widmen, die die Basis dafür gelegt haben, dass
diese Horrorshow in Orange überhaupt erst möglich wurde. Diese vierteilige Dokuserie von Matt Tyrnauer («Where’s My Roy Cohn?») hat es sich zur Herkules-, ja wohl leider zur Sisyphus-Aufgabe
gemacht, den Mythos zu dekonstruieren, den Ronald Reagan um seine Person(a) kreiert und letzten Endes wohl auch tatsächlich geglaubt hat. Ohne die heute übliche bebende Empörung wird in Teil 1
gezeigt, wie der zweitklassige Hollywood-Schauspieler für sich und seine Anhänger ein – selbstredend vornehmlich weisses – Amerika heraufbeschwört und «great again» machen will, das so nur in
seiner Fantasie, in seiner berüchtigt selektiven Wahrnehmung je existiert hat. Teil 2 nimmt sich sodann des scharfen Schwenks nach ganz rechts an, den der ehedem liberale Reagan vollzieht, als er
sich in den frühen Sechzigern dem ultrakonservativen populistischen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater an den Hals wirft und in dessen Windschatten zum Gouverneur von Kalifornien
emporsteigt, indem er der rassistischen Seele Amerikas Avancen macht und den Staat und seine vermeintlich so trägen und ineffizienten Institutionen verteufelt. Teil 3 zeigt dann auf, wie Reagan
als Präsident nach und nach den New Deal von Franklin Roosevelt, von dem einst auch seine Familie profitierte, rückgängig macht, um das Land der Obhut von «Big Money» zu überlassen. Und zum
Abschluss wird Reagans zweite Amtszeit beleuchtet, die etwa geprägt war vom Iran/Contra-Skandal und seiner nachlassenden geistigen Gesundheit.
Reagans Vermächtnis zu retten, obliegt – wie so vieles andere auch – schliesslich Nancy Reagan, dieser zierlichen Frau im Hintergrund mit dem betonierten Lächeln und dem versteinerten
bewundernden Blick hinauf zu ihrem Göttergatten. Dass sie dabei nicht zuletzt auf die Hilfe einer Astrologin gesetzt hat, ist eine von vielen Seltsamkeiten, die das Wirken des 40. US-Präsidenten
umranken. Weil Tyrnauer Doku eben «The
Reagans» heisst, wird immer wieder auch auf die nicht zu überschätzende Rolle der zeitweise höchst unpopulären und so gar nicht den Puls des Landes fühlenden First Lady eingegangen, die es
sich etwa nicht hatte nehmen lassen, für Abertausende von Dollars neues Porzellangeschirr für das Weisse Haus anzuschaffen, während in derselben Woche das Budget der Schulkantinen
zusammengestrichen wurde. Freilich kommen hier nicht nur kritische Stimmen wie jene der Starjournalisten Robert Scheer und Lesley Stahl zu Wort, sondern auch einstige enge Weggefährten wie
Ex-Aussenminister George Shultz oder glühende Verehrer wie der konservative Aktivist Grover Norquist. Sehr informative Einblicke ins Privatleben gibt derweil Ron Reagan, der Sohn von Ronald und
Nancy, der offenkundige einem weit liberaleren Gedankengut anhängt als seine Eltern. An der «Abrechnung», die Tyrnauers Doku letztlich ist, will sich Ron zwar nicht lauthals beteiligen; doch will
der überaus sympathisch rüberkommende Präsidentensohn, der als Journalist arbeitet, auch nichts schönreden. Und damit unterscheidet er sich doch wohltuend von den Mainstreammedien, die sich
damals zu Komplizen dieses rabiaten Konservativen und dessen Radikalisierung der Republikanischen Partei machten, weil er ihnen endlich die Show bot, nach der sie so lange gelechzt hatten; und
die noch heute unbeirrt seinen Heiligenschein polieren und alles Negative ausblenden: das schändliche Ignorieren der Aids-Pandemie etwa, die unermessliches Leid verursacht hat, oder die
verwerfliche Faktenverdreherei, die dank genialer Inszenierung und Schauspielerei die einfachen Leute dazu gebracht hat, konsequent gegen ihre Interessen zu votieren. Und die den nachhaltigen
Schaden, den dieser Mann angerichtet hat, hartnäckig ignorieren: die Schwächung der Arbeiterschaft durch die Zerstörung der Gewerkschaften, das Zündeln mit rassistischen Ressentiments, die
bewusste Spaltung des Landes und die horrende wirtschaftliche Ungleichheit. Dass «The Reagans» irgendwen bekehren wird, ist bei aller handwerklichen Klasse dieser Doku zwar unwahrscheinlich. Aber
obwohl nie der explizite Link in die Gegenwart gemacht wird, so ist es trotzdem gut und ratsam, sich wieder einmal in Erinnerung zu rufen, wer es eigentlich war, der die Saat für diesen Wahnsinn
gelegt hat, den die USA leider noch lange nicht hinter sich gebracht haben.
Das ist die Geschichte von Marianne und Connell. Es ist die Geschichte der Höhen und Tiefen, Unglaublichkeiten und Unzulänglichkeiten, Komplexitäten und Kuriositäten einer jungen und irgendwann
dann nicht mehr so jungen, aber jedenfalls immer grossen Liebe. Einer Liebe, die zwar im Laufe der Jahre immer wieder auf Sparflamme zurückgesetzt wird – aus Unreife oder Missverständnissen,
wegen schlechten Timings oder dummer Zufälle. Die aber nie je erlischt und – so wollen wir zumindest hoffen – auch nach der letzten der zwölf rund halbstündigen Folgen noch weiterleben
wird.
Es ist dies auch eine sehr moderne, sehr jetzige Geschichte mit von Bindungs- und allerlei sonstigen Ängsten erfüllten jungen Menschen. Basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Sally
Rooney, folgt «Normal People» unseren beiden
so zerbrechlichen Protagonisten von ihren letzten Tagen in der Sekundarschule in der irischen Kleinstadt Sligo bis zu ihren Studienjahren am Trinity College in Dublin. Nicht nur ihre Beziehung
durchlebt dabei ein zwischen Liebe und Freundschaft pendelndes stetes Auf und Ab; auch anderweitig stellen sich ihnen manche Fallstricke in den Weg zum Glück – von Mariannes toxischen
Familienverhältnissen über Connells schwierigen Freundeskreis bis zu dieser orientierungslosen Unsicherheit, die einen in jungen Jahren auf der Suche nach dem richtigen Platz in diesem Leben in
den Würgegriff nimmt und einem bisweilen die Luft zum Atmen abklemmt. Erzählt ist das mit einer bemerkenswert dezenten Klugheit; inszeniert ist es von «Room»-Regisseur Lenny Abrahamson (Episoden
1–6) und TV-Fachfrau Hettie Macdonald (7–12) mit einer ungefilterten, ungeschminkten Intimität, mit einer nachgerade puren Zärtlichkeit und einer gleichsam unschuldigen Erotik; und gespielt ist
es von den Newcomern Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal mit einer zu Herzen gehenden und komplett vereinnahmenden Natürlichkeit und Schönheit.
Wenn zwei der grössten Legenden der Leinwand respektive eines der unsterblichsten Filmpaare der Hollywood-Geschichte das erste Mal seit fast 40 Jahren wieder zusammenspannt, ist das sowieso schon
den Kinobesuch wert – oder wie heute immer öfter und eben auch im Fall der Bestselleradaption «Our Souls at Night»: die Netflix-Monatsgebühr. Diese in einer friedlichen Kleinstadt von Colorado angesiedelte romantische Komödie
von 2017, inszeniert vom Inder Ritesh Batra («The Lunchbox»), hat freilich noch mehr zu bieten als Robert Redford und Jane Fonda, die sich lange nach dem Tod ihrer Ehepartner und nach Jahren
einer eher spröden nachbarschaftlichen Nichtbeziehung aus ganz praktisch rationalen Motiven auf eine Liaison einlassen.
Die Geschichte dieser unwahrscheinlichen Liebe lebt fraglos in erster und auch zweiter Linie vom unverkrampften Charme und der natürlichen Überzeugungskraft der beiden Leads; sie hat aber auch
viele kluge Sachen zu sagen über das Alter und das Leben an sich, die Batra und Autor Kent Haruf freilich nicht lauthals in die Nacht hinausposaunen – was würden da auch die Nachbarn denken! –,
sondern bei einem vornehmen Glas Rotwein (sie) bzw. einem erfrischenden Bier (er) dezent und delikat in die Konversation einstreuen. Das hat etwas Entspannendes und immer wieder auch einen Hauch
von lebenskluger Nostalgie, so wie auch das Spiel von Fonda und Redford vollends relaxt und von einer schwärmerischen Weisheit erfüllt ist. «Our Souls at Night» mag nicht die romantische Wucht
von Clint Eastwoods Altersliebelei «Bridges of Madison County» haben; und auch die Schauwerte sind im Vergleich weit bescheidener. Doch das Herz hat dieser kleine und – dieses Mal muss es sein –
feine Film definitiv am rechten Fleck.
17 Jahre lang, von 2002 bis 2019, ging Senta Berger als Kriminalrätin Dr. Eva Prohacek in der Abteilung für interne Ermittlungen im Kommissariat München auf Spurensuche. Ans Licht gebracht hat
sie dabei gemeinsam mit ihrem linkischen Assistenten Langner (Rudolf Krause) nicht nur manches sogenannte Amtsdelikt, sondern immer wieder auch korrupte Verflechtungen und hartnäckige
Verfilzungen, die zur diebischen Freude des Publikums praktisch jedes Mal auch ihren aalglatten Vorgesetzten Dr. Reiter (Gerd Anthoff) betrafen. 30 Fälle sinds am Ende für die ZDF/Arte-Serie
«Unter Verdacht» geworden, wobei bereits der
allererste mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Stars wie Christoph Waltz, Axel Milberg, Friedrich von Thun, Jasmin Tabatabai und Justus von Dohnányi gaben sich die Klinke in die Hand
und trugen ihren Teil dazu bei, dass diese immer ein wenig aus der handelsüblichen TV-Reihe tanzende Serie mit einer absolut bemerkenswerten Konstanz ihr hohes Niveau zu halten vormochte.
«Unter Verdacht» war bei all den klugen Drehbüchern und all den spannenden Fällen freilich stets die Show von Senta Berger. Wie sie ihre Frau Doktor Prohacek in dem einen Moment zutiefst
verletzlich, ja fast zerbrechlich interpretierte, nur um dann im nächsten Moment eine wilde, unbarmherzige Entschlossenheit im Kampf für das Gute an den Tag zu legen, das war stets grosse
Schauspielkunst. Und ihre Scharmützel mit Gerd Anthoff, diesem unverbesserlichen Hallodri und ewigen Amigo aus der Teppichetage – die waren nichts weniger als köstlich und sorgten im Schatten all
der schwerwiegenden und bisweilen durchaus schwer verdaulichen Verbrechen immer wieder für eine willkommene komödiantische Befreiung.
Nein, diesen Film muss man als normal tickende Cineastin nicht gesehen haben. Für Verehrer des italienischen Giallo hingegen mag sich «The Editor», diese absolut nicht ernst gemeinte
filmhistorische Spielerei aus dem Jahr 2014, durchaus lohnen. Denn was das Regiegespann Adam Brooks & Matthew Kennedy hier mit einem Minibudget von 100'000 Dollar auf die Leinwand geklatscht
hat, ist nicht nur eine lupenreine Hommage an die Werke von Dario Argento und Co., sondern grad auch noch eine ziemlich witzige Parodie dieser in den Siebzigern zu voller Blüte gelangten, sehr
blutigen und überaus freizügigen Unterform des Horrorthrillers. Und mit Paz de la Huerta («Nurse 3D», «Boardwalk Empire») und Udo Kier (hier bitte den Film der Wahl aus dem über 260 Streifen
umfassenden Œuvre des Deutschen einsetzen) sind sogar zwei Leute mit an Bord, die man getrost als Kultstars bezeichnen darf.
Die Hauptrolle, den titelgebenden Filmeditor Rey Ciso, spielt mit Adam Brooks indes einer der Regisseure. Ciso war einst ein Grosser seines Fachs; nach einem traumatischen Unfall, bei dem er vier
Finger verlor, ist er indes längst in die Obskurität abgesackt und verdingt sich mittlerweile für Machwerke der ganz üblen und billigen Sorte. Als ob das Leben des Rey Ciso nicht schon unlustig
genug wäre, wird er dann auch noch zum Hauptverdächtigen von Kommissar Porfiry (Matthew Kennedy, der andere Regisseur), als ein Verrückter seinen Kollegen und natürlich gerade auch den
Kolleginnen am aktuellen Set nach und nach bestialisch den Garaus macht. Viel nackte Haut und kübelweise Kunstblut werden im Zuge dessen herumgereicht, alles minutiös und kompetent im
Giallo-Stil, von der bombastisch dramatischen Musik über das gnadenlose Overacting, die hölzernen synchronisierten Dialoge und den Schabernack mit Kameraperspektiven bis zum Slapstick mit den
zahllosen Handlungsvolten. Das ist dann schon allerhand an Retro-Handwerkskunst, da gibts nichts dran zu deuteln. Und wie sich «The Editor» so durch und durch und voll und ganz und ganz und gar
der Lächerlichkeit verschreibt, ist einfach von geradezu entwaffnender, bewundernswerter Konsequenz.
Regisseur Carl Franklin und Hauptdarsteller Denzel Washington waren bereits sechs Jahre davor für den überaus stylishen Neo-Noir-Thriller «Devil in a Blue Dress» eine höchst fruchtbare
Zusammenarbeit eingegangen. Insofern war es am Ende dann nicht mal so überraschend, dass dieser spannende und bisweilen recht witzige Krimi so eine runde Sache wurde. Und das, obwohl er ziemlich
lässig eine geradezu tiefenentspannte Ambitionslosigkeit zur Schau stellt – oder vielleicht ja gerade deswegen. Wie dem auch sie, Alfred Hitchcock hätte wohl auch seine Freude gehabt an diesem
auf Realismus und beinharte Logik pfeifenden Suspense-Stück, in dem Washington unter der Sonne der Florida Keys als Polizeichef in kurzen Hosen quasi gegen sich selbst ermitteln muss.
Dabei meint es Matt Whitlock doch eigentlich nur gut, als er eine halbe Million Dollar aus der Asservatenkammer stibitzt. Das Geld braucht er nämlich nicht für sich, sondern für seine todkranke
Geliebte (Sanaa Lathan), damit diese sich in der Schweiz einer experimentellen Therapie unterziehen kann. Leider kommt die Herzensdame dann aber in einem Hausbrand um, die Kohle ist verbrannt,
und dem FBI sollte Matt das dann auch noch alles erklären. Freilich erweist sich schnell, dass kaum etwas so ist, wie es scheint, und einige unglückliche Zufälle und ein paar halsbrecherische
Wendungen später steckt Matt noch tiefer in Exkrementen. Immerhin ist da aber noch seine Ex-Frau (Eva Mendes), die dem liebestollen Cop aus der Patsche hilft. Und auf unsere Sympathien kann
dieser so viele schlechte Entscheidungen treffende Antiheld sowieso zählen – Denzel Washington sei Dank. Denn dieser zeigt hier, dass er seine Figuren auch dann ernst nimmt, wenn es sich nicht um
Oscar-Material, sondern bloss um eine nonchalante, wiewohl von Franklin nach allen Regeln der Kunst flüssig und kurzweilig inszenierte Genreübung handelt. Und so bekommen wir eben auch in
«Out of Time» eine dieser seelenreichen und
würdevollen Performances, für die wir Washington so sehr lieben.
Das ist jetzt mal eine ausgezeichnete Idee: einem allseits geliebten Kriminalroman-Helden nicht eine Kinoreihe, sondern eine Fernsehserie zu geben. Seit 1992 schon und in bereits 21 Büchern
ermittelt der von Bestsellerautor Michael Connelly ersonnene kernige Kriegsveteran Hieronymus «Harry» Bosch in den schäbigen und schummrigen, mystischen und mysteriösen Ecken von L.A. Und nachdem
es sein Halbbruder Mickey Heller zu Beginn der letzten Dekade in «The Lincoln Lawyer» auch dank einer knackigen Performance von Matthew McConaughey zu einigem wohlverdientem Kinoruhm gebracht
hatte, fand man drei Jahre später bei den Amazon Studios, es sei an der Zeit, auch Bosch für das lesefaule Publikum zum Leben zu erwecken. Sechs Staffeln sind seit dem Start im Jahr 2014 nun
schon abgedreht, wobei Elemente aus zwölf Harry-Bosch-Romanen als Inspirationsquellen dienten.
Das Erfolgsgeheimnis der Serie, deren siebte und letzte Staffel gerade abgedreht wurde, ist neben dem hochklassigen Ausgangsstoff die geradezu genial perfekte Besetzung der Hauptfigur: Titus
Welliver, bekannt etwa aus «Sons of Anarchy» und sämtlichen vier Regiearbeiten von Ben Affleck, wirkt, als sei er geboren worden für die Rolle des gerechtigkeitsliebenden altmodischen Cops der
Hollywood Division des LAPD, der auch mal die Regeln biegt und entsprechend immer wieder in den Clinch mit seinen Vorgesetzten gerät. Wohltuend ist dabei, dass Bosch bei allen Versehrungen, die
er unter einer schroff-herben Männlichkeit zu beerdigen sucht – die Kriegserfahrungen, eine Scheidung, der nie aufgeklärte Mord an seiner Mutter –, sich mit schnoddriger Widerspenstigkeit dagegen
sträubt, sich ins Klischee des hartschalig-weichkernigen Bullen mit Hang zum besoffenen Grübeln zu fügen. Stattdessen geniesst er von der Terrasse seines Designerhauses hoch oben in den Hollywood
Hills aus die spektakuläre Aussicht über die Stadt der Engel, während er passend zum Lichtermeer eine seiner geliebten Jazzplatten auflegt. Und da sind wir dann bei den anderen beiden grossen
Stärken von «Bosch»: die smoothe Inszenierung
von L.A. und der coole Soundtrack.
Nicht immer ist es gut gekommen, wenn sich Steven Soderbergh aufs Experimentieren und Improvisieren verlegt hat; mit gähnendem Schrecken sei etwa an Kunstfreies wie «Full Frontal» oder «The
Girlfriend Experience» erinnert. Und nicht viel besser ists ihm bislang geraten, wenn er statt fürs Kino für einen Streamingdienst gewerkelt hat: Sowohl das mit einem iPhone 8 gedrehte Sportdrama
«High Flying Bird» als auch die selbst von Meryl Streep nicht zu rettende Geldwäschereisatire «The Laundromat», die er beide im Jahr 2019 für Netflix abgefilmt hat, waren ziemliche Rohrkrepierer.
Skepsis war also definitiv angebracht, als der Mann mit der Hornbrille unlängst «Let Them All Talk» präsentierte: eine für den noch jungen Dienst HBO Max gefertigte Dramedy, die fast ausschliesslich aus
mehrheitlich improvisierten Dialogen besteht.
Meryl Streep spielt darin die renommierte Literatin Alice Hughes, die in England einen prestigeträchtigen Preis entgegennehmen soll. Weil sie nicht fliegen will, schlägt ihre neue Agentin Karen
(Gemma Chan), die mit allmählich eskalierender Besorgnis auf Alice’ neustes Manuskript wartet, die Überfahrt auf der «Queen Mary 2» vor. Nach anfänglichem Zögern willigt Alice ein, freilich unter
der Bedingung, dass sie zur Unterstützung ihren Neffen Tyler (Lucas Hedges) und zur Unterhaltung ihre entfremdeten Studienfreundinnen Roberta (Candice Bergen) und Susan (Dianne Wiest) auf den
Luxusdampfer einladen darf. Was nun folgt, ist ein oftmals geistreiches Geplänkel zwischen drei Grandes Dames des amerikanischen Kinos und ein sympathisch zurückhaltendes Anbandeln zwischen dem
jungen Tyler und der auf die 40 zugehenden Karen, die sich ohne Alice’ Wissen quasi zur Kontrolle ebenfalls aufs Schiff geschlichen hat. Sicher: Die verbalen Schlagabtäusche driften mitunter auch
ins Banale, und wie sich der fraglos talentierte Lucas Hedges in dieser Damenrunde schlägt, ist teils arg ungelenk. Aber dieser fast nur mit natürlichem Licht und minimalem Equipment an Bord der
«Queen Mary 2» gefilmte Versuch einer (Wieder)annäherung hat nicht nur einen entwaffnenden Charme; Soderbergh macht hier auch etwas, was nicht viele seiner Berufskollegen zu tun bereit sind: Er
stellt drei Schauspielerinnen in reiferem Alter auf ein komödiantisches Parkett, ohne sie dabei einer schrulligen Putzigkeit preiszugeben.