Your job is to get your audience to care about your obsessions.
Martin Scorsese
Dieser Politthriller aus dem Jahr 1992 ist ein geradezu erschütterndes Beispiel dafür, wie ein desinteressierter Produzent und eine stiefmütterliche Vermarktung einem zwar nicht makellosen, aber
doch mit reichlich Potenzial gesegneten Film von vornherein jede Chance rauben können. Und wie dann eine solch «unglaublich bittere Erfahrung» dazu führen kann, dass ein talentierter Regisseur
die Flinte ins Korn wirft und für sich beschliesst, dass er mit solcherlei dann doch lieber nicht seinen Lebensunterhalt verdienen möchte, «wenn ich von einem Haufen Piraten umgeben bin, denen
ich nicht trauen kann». Der Mann, der das unlängst gesagt hat, ist Mark Frost, seines Zeichens Co-Schöpfer von «Twin Peaks» und als solcher, wie viel zu oft vergessen geht, zu mindestens gleichen
Teilen wie David Lynch verantwortlich für den grössten Meilenstein der Fernsehgeschichte. Von ebendiesem David Lynch scheint sich Frost für «Storyville», den ersten und tatsächlich letzten Film,
bei dem er Regie führte, ein bisschen was abgeschaut zu haben: Die düster dichte Atmosphäre, die dieses Ränkespiel um den erotischen Fehltritt des aufstrebenden Sprösslings (James Spader) einer
kennedyesken politischen Dynastie aus New Orleans umgibt, gemahnt bisweilen jedenfalls an die Werke des «Zaren des Bizarren». Und mit Piper Laurie und Michael Parks waren denn auch zwei «Twin
Peaks»-Granden prominent mit von der Partie.
Nichtsdestotrotz ist «Storyville» ein Stoff, der durch und durch «frostig» ist. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie rege Frosts Interesse an Politik ist, braucht man nur mal seine von
heiligem Furor gegen den aktuellen Präsidenten erfüllten Twitter-Posts zu studieren. Dass es ihm die Kennedys im Speziellen angetan haben, erschliesst sich wiederum daraus, dass er einst – noch
vor «Twin Peaks» – mit Lynch an einem Projekt namens «Goddess» gearbeitet hat, der Adaption eines provokanten Thesenstoffs über Marilyn Monroe, ihre Beziehung zu JFK und RFK und was Letzteres mit
ihrem Tod zu tun hat. Die Handlung, das Ambiente und auch die Stimmung von «Storyville» schliesslich haben unverkennbare Parallelen zu «Chinatown», einen von Frost erklärten Lieblingsfilmen. Und
auch wenn sein Erst- und Einzling sich mit einem derart mächtigen Vorbild dann also schon nicht grad zu messen vermag, hatte er doch prominente Bewunderer. Kritikerpapst Roger Ebert gab ihm 3,5
von 4 Sternen, die «Washington Post» schrieb von einem «spektakulären» Debüt und einem «bedeutenden neuen Filmemacher-Talent», und die «New York Times» lobte Frosts «beachtliche Arbeit mit seinen
Darstellern». Frost selbst ist bis heute zu Recht stolz auf sein Werk, das er eher in der Nähe der Arbeiten von Sidney Lumet ansiedelt und das ihm die Chance bot, die düsteren Seiten des
farbig-freudig-frohen New Orleans auszukundschaften und darin eine Familiengeschichte über generationenübergreifende Rivalität und Gier und ein von latentem Rassismus durchtränktes Kriminaldrama
um Arm gegen Reich zu verorten.
Dieser Dreiteiler aus dem Jahr 1977 ist gleich aus mehreren Gründen eine ziemlich faszinierende Angelegenheit. Zuallererst ist das natürlich eine ziemlich spannende Geschichte, die da über knapp
fünf Stunden erzählt wird: das Schicksal des – wie wir bald ahnen – wohl zu Unrecht wegen des Sexualmordes an einer wilden 15-Jährigen verurteilten Playboys Lee Bishop (Perry King) und seines
cleveren Anwalts Tom Keating (Sam Elliott). Darüber hinaus aber ist «Aspen» auch ein ziemlich kecker und bisweilen kruder Mix aus seifigem Glamourdrama über Geld, Macht und Liebeleien in bester
«Dynasty»-Tradition und blitzkalter Kriminalschauergesichte, die vom winterlich waldigen Ambiente und über den lotterhaften Lebenswandel des Mordopfers sogar den einen oder anderen Gedanken
Richtung «Twin Peaks» schweifen lässt.
Obendrein ist das eine durchaus aufschlussreiche Milieustudie des Nobelskiorts in Colorado mit seinen rauschenden Galadiners und den ausschweifenden After-Partys; und schliesslich gerät «Aspen»
auch noch zum mitunter unübersichtlich werdenden Schaulaufen seiner zahlreichen Stars: Die flotteste Figur macht dabei natürlich der Haudegen Sam Elliott, der hier zwar erst 33 Lenze zählt, aber
jetzt nicht wirklich viel juveniler, dafür definitiv so kernig wirkt wie in «The Big Lebowski» oder «A Star Is Born». In seinem Fahrtwind brillieren Gene Berry als milliardenschwerer
Grossinvestor, der im zweiten grösseren Erzählstrang die Fäden zieht; die überirdisch attraktive The-Mamas-and-the-Papas-Sirene Michelle Philipps als dessen luderhafte Tochter oder auch der ölige
Anthony Franciosa als lokaler Schurke mit besten Verbindungen zur Mafia. Und sogar die Hollywood-Legende Joseph Cotten («The Third Man», «Citizen Kane») hat seinen Auftritt in diesem längst der
Vergessenheit anheimgefallenen Fernsehjuwel aus den Siebzigern aus der Hitschmiede von Roy Huggins («The Fugitive», «The Rockford Files»).
An seine grossen Erfolge aus den Siebzigern – von «Serpico» über «Dog Day Afternoon» bis «Network» – vermochte Regisseur Sidney Lumet im Folgejahrzehnt zwar nicht ganz nahtlos anzuschliessen.
Gleichwohl finden sich in der Filmografie des «Meisters des Justizfilms» aber auch da noch manche Perlen. Deren funkelndste ist neben dem Paul-Newman-Vehikel «The Verdict» wohl das politisch
hintergründige Familiendrama «Running on
Empty», das Drehbuchautorin Naomi Forer und Nebendarsteller River Phoenix eine verdiente Oscar-Nominierung einbrachte. Mit viel Sinn für moralische Dilemmas, kluger Intuition für menschliche
Schwächen und einem feinen Gehör für Zwischentöne erzählt Lumet darin die turbulent-schicksalsbehaftete Geschichte der vierköpfigen Familie Pope, die sich redlich müht, ein amerikanisches
Durchschnittsleben zu führen, aber immer wieder von der Vergangenheit eingeholt wird.
Die Eltern, Annie (Christine Lahti) und Arthur (Judd Hirsch), waren in den Siebzigern in einer politischen Untergrundorganisation aktiv und machten sich zu Staatsfeinden, als sie aus Protest
gegen den Vietnam-Krieg ein Napalmlabor in die Luft sprengten und dabei einen Hausmeister schwer verletzten. Seither sind sie mit immer wieder wechselnden Identitäten untergetaucht oder dann
wieder, wenn die Gesetzhüter ihnen auf die Pelle gerückt sind, auf der Flucht. Im Grossen und Ganzen ging das bisher so weit alles gut, doch nun ist ihr älterer Sohn Danny (Phoenix) zum Teenager
herangewachsen und also in einem Alter, wo er sich Gedanken über das Jetzt hinaus macht. So werden am aktuellen temporären Wohnsitz der Familie im Staat New York nicht nur Dannys Ambitionen für
eine Karriere als Pianist, sondern auch Gefühle für die flippige Lorna (Martha Plimpton) geweckt, die Tochter seines ihn zwar tatkräftig fördernden, aber auch etwas gar forsch in der
Vergangenheit rumstochernden Lehrers (Ed Crowley). Als die Situation allmählich wieder brenzlig wird und der nächste abrupte Umzug sich anbahnt, kommt es in der Familie zum Clinch und zum Clash
der Generationen, im Zuge dessen sich die Popes den grossen Daseinsfragen und Lebenslügen stellen müssen. Wie Lumet das mit mehr Fokus aufs Persönliche als aufs Politische abhandelt, war für den
Jahrhundertkritiker Roger Ebert so gut, dass er «Running on Empty» zu einem «der besten Filme des Jahres» adelte. Für die «L.A. Times» war es «raffiniert, kompromisslos und erfrischend
originell», für «Newsweek» nichts weniger als «emotional überwältigend». Und worin sich praktisch alle einig waren: dass das nicht nur, aber gerade auch von River Phoenix, um den die Geschichte
letztendlich kreist, einfach verdammt gut gespielt ist.
Für die einen sind es die schönsten Tage des Jahres, für andere hingegen sind Weihnachten die Zeit, die das Schlimmste und Schlechteste in den Menschen – und nicht selten in Hollywood –
hervorbringt. In der überhaupt nicht schlimm schlechten Komödie «Happiest Season», dem autobiografisch angehauchten Regiezweitling der Schauspielerin Clea DuVal, sind nun natürlich beide Parteien
vertreten. Da ist zum einen die forsche Abby (Kristen Stewart), die seit dem Tod ihrer Eltern gar nichts mehr mit Weihnachten anfangen kann. Und da ist ihre Freundin Harper (Mackenzie Davis), die
sich wahnsinnig und wie von Sinnen darauf freut, diese wichtigsten Tage des Jahres im Schosse ihrer ausschliesslich schrecklichen und keineswegs netten Familie zu zelebrieren. Nachdem Harper in
einem übermütigen Moment amouröser Glückseligkeit Abby davon überzeugt hat, sie dieses Jahr doch nach Hause zu begleiten, setzt das ein, was Hollywood uns seit je gerne unter den Christbaum legt:
ein turbulenter Reigen voller Verwechslungen und Enthüllungen, Familienfehden und anderen Katastrophen. Denn weder Harpers politisch ambitionierter Vater (Victor Garber) noch ihre stets manisch
auf den perfekten Schein erpichte Mutter (Mary Steenburgen) wissen etwas von der sexuellen Orientierung ihrer Lieblingstochter, und die beiden Schwestern, die linkisch verdatterte Jane (Mary
Holland) und die stahlhart ehrgeizige Sloane (Alison Brie), haben ebenfalls keine Ahnung. Was die Sache aber erst recht übel macht: Harper hat entgegen mehrfachen Beteuerungen auch gar nicht vor,
die Welt ihrer konservativen Mischpoke aus den Angeln zu heben und ihr wahres Ich zu offenbaren. Und das lässt Abby Weihnachten jetzt grad noch ein bisschen mehr hassen.
Die Konstellation von «Happiest Season» ist also alles andere als originell, trotz der zeitgeistigen Variation um die homosexuelle Note. Und Clea DuVal macht auch recht früh klar, dass sie gar
nicht vorhat, hier das Weihnachtskutschenrad neu zu erfinden. Wie sich nach gut 100 Minuten Spielzeit weisen wird, ist das auch nicht nötig. Denn DuVal kriegt auch mit einem ziemlich klassischen
Rezept eine beinahe perfekte Mischung aus Comedy und besinnlich introspektivem Drama gebacken. Was sie aus dem Rohr holt, ist quasi das weihnachtsfilmische Äquivalent zu einem Zimtstern, diesem
auch wegen seiner massvollen Süsse immer wieder gern genossenen Evergreen unter den Weihnachtskeksen. Für eine gewisse herbe Note sorgt schon allein die Präsenz von Kristen Stewart, die einen
prima Kontrapunkt zu der eher zierlich verzärtelten Mackenzie Davies («Irresistible») abgibt und ausserordentlich gut und natürlich mit der Kino-Newcomerin harmoniert. Mehr dem Komödiantischen
zugeneigt ist derweil Mary Holland («Veep»), die ganz anders als ihre von der Familie so sträflich vernachlässigte Figur den anderen ein bisschen die Show stiehlt. Und für vornehmlich
nachdenkliche Momente ist dann die wundervolle Aubrey Plaza («Parks and Recreation») in der Rolle von Harpers Ex besorgt. Es ist da mithin für alle was dabei. So wie es an Weihnachten sein soll.
Und festlich flott ausschauen tut das Ganze grad auch noch.
Diese Miniserie aus dem Jahr 2018 zeichnet detailgetreu eines der düstersten Kapitel in der jüngeren Geschichte der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden nach: die 51 Tage dauernde Belagerung
der Siedlung der sektenähnlichen Religionsgemeinschaft Branch Davidians in Waco, Texas, durch das FBI und das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms, and Explosives (ATF) im Jahr 1993, die in einer
Feuersbrunst und im Tod von 76 Gläubigen, darunter 25 Kinder, endete. Ursprünglich unverkennbar als Spielfilm geplant, weist der Sechsteiler zwar einige Längen auf; doch verschafft dies wiederum
den durchweg hervorragenden Darstellern noch etwas Zusatzraum zur Entfaltung. Ganz besonders intensiv nutzen darf diesen der charismatische Taylor Kitsch («Friday Night Lights»), der in der Rolle
des selbst ernannten Propheten und Sektenführers David Koresh nicht nur die beste Leistung seiner Karriere abliefert, sondern auch auf verblüffend viel Verständnis für seine umstrittene Figur
seitens der Filmemacher zählen darf. Die von den Brüdern John Erick und Drew Dowdle konzipierte Serie geht die Sache nämlich von zwei Seiten an, sprich, sie beruht auf gleich zwei
Tatsachenberichten: jenem des Überlebenden David Thibodeau, in der Serie gewohnt linkisch dargestellt von Rory Culkin; und jenem des FBI-Verhandlungsführers Gary Noesner, der von Michael Shannon
verkörperten zweiten Hauptfigur in «Waco».
Noesner ist es, der mit seiner besonnenen Art und in zähem Feilschen unnachgiebig das Schlimmste zu verhindern sucht; doch letztlich ist auch er machtlos: nicht so sehr gegen die frömmlerische
Verblendung von Koresh und seiner mehrheitlich gar nicht mal so übergeschnappten Jünger (u.a. Andrea Riseborough, Paul Sparks, Julia Garner), wie die Dowdle-Brüder implizieren, sondern vielmehr
gegen die tumben Cowboymethoden der Strafverfolgungsbehörden, denen hier Shea Wigham und Glenn Fleischler die markanteste Fratze und John Leguziamo als von Koresh in Versuchung Geführter ein
menschliches Antlitz verleihen.
«Waco» stellt mithin nicht den Möchtegern-Messias Koresh an den prominentesten Pranger; die Branch Davidians werden als zwar krude, aber vergleichsweise harmlose Religionsgemeinschaft
dargestellt, wo etwa sexuelle Kontakte (auch zu Minderjährigen) wohl dem polygamen Führer vorbehalten sein mögen, die letztendlich aber einfach ihre besinnliche Ruhe haben möchte und niemandem
gross etwas zuleide tut. Die Dummen und Bösen sind hier stattdessen das FBI und das AFT: diese grobschlächtigen Rambos, die einfach nicht aus früheren Fehlern lernen wollen und dann auch noch das
Blaue vom Himmel lügen, wenn einem Autounfall in Zeitlupe gleich das eingetroffen ist, was Intelligenz und Empirie diktiert hatten. Das ist natürlich nicht unproblematisch; und für ihren allzu
pfleglichen Umgang mit Koresh hat die Serie auch einige Kritik einstecken müssen. Aber es eröffnet das eine sicherlich interessante neue Perspektive – nicht nur auf die katastrophalen
Geschehnisse vom Frühjahr 1993 in Texas, sondern auch auf die uramerikanische Prämisse der Selbstbestimmung und die Religionsfreiheit. Von der Religionsskeptikerin über den Regierungshasser bis
zum Radiophilosophen kommen hier denn auch Stimmen aus allen Richtungen zu Wort. Dass die Dowdle-Brüder darob und über den zusehends eskalierenden Ereignissen bisweilen die Orientierung
verlieren, mindert zwar die Begeisterung über «Waco» ein wenig; aber Taylor Kitsch und Michael Shannon, Paul Sparks und Andrea Riseborough, Rory Culkin und Julia Garner, Shea Wigham und John
Leguziamo holen dann die Kohlen garantiert aus dem Feuer.
Diese Geschichte ist so gerissen gut, dass sie innerhalb von zehn Jahren gleich zweimal verfilmt wurde: 1976 mit Jack Klugman unter dem Titel «One of My Wives Is Missing» in sonnigen
kalifornischen Gefilden; und dann 1986 gleich nochmals als «Vanishing Act» mit Mike Farrell in der Rolle des Ehemanns, dem in den Flitterwochen in den Rocky Mountains seine Frischangetraute
abhandenkommt, Elliott Gould als scheinbar begriffsstutzigem und mehr an Kulinarischem interessiertem Ex-NYPD-Kommissar, der sich des Vermisstenfalls annimmt, und Margot Kidder in der Rolle jener
Frau, die vorgibt, die Verschwundene zu sein, und ihren vermeintlichen Gatten damit in ungläubigen Wahnsinn treibt.
Inszeniert hat «Vanishing Act» mit David Greene ein Mann, der in seiner langen Karriere nicht nur vier Emmys gewinnen konnte, sondern 1973 für das Musical «Godspell» auch mal für die Goldene
Palme von Cannes in Betracht gezogen wurde; und geschrieben wurde dieser leichte und beste Unterhaltung garantierende Krimi vom französischen Autor Robert Thomas, den seine Zeitgenossen mit
Agatha Christie und Alfred Hitchcock verglichen und dessen namhaftester Filmografieeintrag der postum realisierte Rätselspass «8 Femmes» von François Ozon werden sollte (den letzten Schliff
verpassten dem Film dann die «Columbo»-Erfinder William Link und Richard Levinson). Wie so viele Perlen des Achtzigerjahre-Fernsehens ist auch «Vanishing Act» zwar nicht (mehr) auf DVD greifbar,
aber auf Youtube in voller Länge zu geniessen.
Es ist eine rundum erfreuliche und absolut sinnvolle Entwicklung, dass populäre Romane statt fürs Kino nun vermehrt als Miniserie adaptiert werden. Verblüffend ist bloss, dass die hierbei auf der
Hand liegenden und in europäischen Gefilde seit je demonstrierten Vorteile erst unlängst auch in den USA verbreitet durchgedrungen sind. Umso erfreulicher sind dafür die daraus resultierenden
Ergebnisse, die wir wie so vieles Erfreuliche in erster Linie den Streamingdiensten zu verdanken haben: Werke wie «Olive Kitteridge», «Sharp Objects» oder «Mildred Pierce» gehören zu den
prächtigsten Literaturadaptionen überhaupt (und über mehrstaffelige Buchverfilmungen wie «Friday Night Lights», «The Leftovers» oder «Justified» fangen wir jetzt erst gar nicht an zu
schwärmen).
Ein neuerer Eintrag in dieser jungen Tradition ist das achtteilige Drama «Little Fires Everywhere», basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Celeste Ng aus dem Jahr 2017. Es ist dies binnen kürzester
Zeit auch der dritte Fernsehauftritt von Reese Witherspoon. Und die Rolle, die die Oscar-Preisträgerin hier übernommen hat, ist jener aus «Big Little Lies» nicht unähnlich: die der auf Perfektion
bedachten und den äusseren Schein über alles stellenden Vorortstyrannin Elena Richardson, die es sich aus schalldicht verschlossenem Frust über verpasste Gelegenheit und hergeschenkte Träume zur
Lebensaufgabe gemacht hat, das Handeln ihrer Mitmenschen ganz genau unter die Lupe zu nehmen und auf den Prüfstand zu stellen. Ihren Mann (Joshua Jackson) hat die Teilzeitjournalistin längst
unter Kontrolle gebracht, und zumindest drei ihrer vier Kinder vermag sie die meiste Zeit in Schach zu halten. Doch da ist eben auch die Problemtochter Izzy (Megan Stott), die schon in der
vorausblendenden Eröffnungsszene unter Verdacht gestellt wird, das titelgebende Feuer in der villenhaften Residenz der Richardsons gelegt zu haben. Und fast mehr noch raubt ihr der Neuankömmling
Mia (Kerry Washington) den Schlaf, eine schwarze Künstlerin, die offenbar ein dunkles Geheimnis hütet, das Elena partout lüften muss. Nachdem es zunächst so ausgeschaut hat, als ob sich zwischen
Elena und Mia eine – freilich komplizierte – anbahnen könnte, entwickelt sich bald einmal ein regelrechter Psychokrieg, in dem die mannigfaltigen Aspekte des Mutterseins, aber auch heikle
Klassen- und Rassenfragen erörtert werden. Wie in der Buchvorlage geschieht das auch auf dem kleinen Schirm auf grösstenteils profunde Art und Weise; und wiewohl die überaus stilvoll inszenierte
Serie bisweilen der Mut verlässt, tappt sie sich dabei doch auch immer wieder vorsichtig an Abgründe heran. Und das wiederum gibt dann nicht nur Witherspoon und Washington die Chance zu glänzen,
sondern auch einigen der Youngsters, allen voran der erstaunlichen Lexi Underwood in der Rolle von Mias Tochter Pearl.
Fast 20 Jahre sind vergangen, seit Regisseur Gabriele Muccino in «L’ultimo baccio» über die Liebe und das Leben, über Freundschaft und das Erwachsenwerden sinniert hat. Wie danach immer wieder
kehrt der Römer auch in «Gli anni più belli»
nun wieder zu diesen ewigen Themen zurück. Vier wechselvolle Jahrzehnte im Leben der Freunde Paolo (Kim Rossi Stuart), Giulio (Pierfrancesco Favini), Riccardo (Claudio Santamaria) und Gemma
(Micaela Ramazzotti) schildert er über 129 elegant inszenierte Minuten und flicht dabei auch die Geschichte des Landes ein, dessen Irrungen und Wirrungen, das Auf und Ab, das Italien in dieser
Zeit der steten und rasanten Veränderung geprägt und ein Stück weit zermürbt hat. Und wiewohl Letzteres Kollege Mario Tullio Giordana in seinem fast siebenstündigen monumentalen Meisterwerk «La
meglio gioventù» dann doch um einiges profunder und fundierter gemacht hat, zeigt sich doch auch gerade darin, dass Muccino in seiner Heimat doch viel besser aufgehoben ist als in Hollywood, wo
er zwischen 2006 und 2015 vier (zumal künstlerische) Flops fabriziert hat.
Es ist aber auch den vier überragenden Stars geschuldet, dass diese Geschichte derart in Bann zu schlagen und immer wieder zu rühren vermag. Während Favino und Santamaria hier jene typischen
Stärken ausspielen, die sich Muccino schon in «L’ultimo bacio» und dem Nachfolger «Baciami ancora» (2010) zunutze gemacht hat, knüpfen Rossi Stuart und Ramazzotti an ihre fruchtbare Beziehung in
Daniele Lucchettis «Anni felici» (2013) an. Die Charaktere, die ihnen Muccino und sein Co-Drehbuchautor Paolo Costella («Perfetti sconosciuti») auf den Leib geschrieben haben, und die
Turbulenzen, in die sie sie rasseln lassen, sind zwar nicht frei von Klischees; weil den Figuren aber auch eine gewisse repräsentative Funktion zukommt, ist das trotzdem stimmig und selten
störend. Und für das viele allzu Bekannte und die aufdringlich schwülstige musikalische Untermalung entschädigt Muccino mit manch wunderschöner Aufnahme von Rom und der einen oder anderen Hommage
an seine cineastischen Vorbilder. Am Ende, gegen welches hin nochmals ziemlich dick und happy aufgetragen wird, ist jedenfalls eines unstrittig: «Gli anni più belli» ist nicht nur der
persönlichste Film, den Gabriele Muccino je gedreht hat; es ist auch sein bester seit über anderthalb Jahrzehnten und seine Wunderwerk «Ricordati di me». Es scheint, als sie er wieder ganz bei
sich.
Frank (William Holden), Mitte fünfzig, geschieden und vermögend, hat es sich häuslich gemütlich eingerichtet in seiner postmodernen Villa oberhalb von L.A. in Laurel Canyon und mental geradeso
bequem gemacht in einem distanzierten Zynismus, der ihn davor beschützt, verbindliche Beziehungen einzugehen und etwas zu fühlen. Edith Alice (Kay Lenz) ist ein 19-jähriges Blumenkind aus
Pennsylvania, das nur mit einer Gitarre im Gepäck nach Kalifornien gekommen ist und sich hier wie im Paradies fühlt, auch wenn sie keine feste Bleibe und öfters einen leeren Magen hat. Sie nennt
sich Breezy, und luftig unbekümmert ist sie denn auch – gesegnet mit einer ungefilterten Ehrlichkeit und einem kindlichen Urvertrauen in das Gute und Schöne. Sie ist also das pure Gegenteil von
Frank und damit genau die Richtige, um frischen Wind in dessen erstarrtes Dasein zu bringen. Zwar sträubt sich Frank zunächst noch bärbeissig-missmutig gegen diese natürliche Urkraft, die da
eines Morgens in der Einfahrt zu seinem Haus in seinen Alltag platzt; doch im Nu hat Breezy diesen auch schon auf den Kopf gestellt. Denn diese zu allem Ja sagende Lebenslust, sie ist ansteckend;
und das erwartungsfrohe Funkeln in ihren Augen erweist sich dann als derart unwiderstehlich, dass Frank wider das Diktat der Logik ihren unverblümten Avancen schliesslich nachgibt und sich einer
Liebe hingibt, die nur im flüchtigen Moment blühen kann. Die ihm aber Dinge in Erinnerung ruft, die er längst vergessen hat, und eine Schönheit zurückbringt, die er verloren geglaubt hat.
Es weht eine erfrischende Brise unschuldiger kalifornischer Unbeschwertheit durch «Breezy», Clint Eastwoods dritte Regiearbeit aus dem Jahr 1973. Dass hier ein Mittfünfziger mit einer Teenagerin ins Bett steigt,
müsste einen eigentlich gruseln; doch Eastwood schafft es auf gleichsam beiläufige und doch fast magische Weise, dass die Liebe zwischen Frank und Breezy nie creepy wirkt, sondern ganz im
Gegenteil: von Herzen kommend, zu Herzen gehend. Es hilft dabei natürlich, dass er die bei einer solchen Geschichte programmierten Klischees umschifft: Sowenig wie sie es auf das Geld dieses
reichen alten Sacks abgesehen hat, so wenig giert er nach dem Körper dieses naiven jungen Dings; und so dezent seine Kritik an ihrem pflichtvergessenen In-den-Tag-hinein-Leben ist, so dezent ist
ihre Rebellion gegen die von ihm verkörperte Bürgerlichkeit. Es geht hier also weder um Politik noch um Gesellschaftskonflikte – es geht in diesem wunderbaren Film, den man dem im
Dirty-Harry-Zenit stehenden Clint Eastwood irgendwie so gar nicht zutraut, nur um eines: um die Kraft der Liebe, die einen jedes Hindernis überwinden und alle Differenzen nichtig und klein
erscheinen lässt.
Zwei Jahre bevor er mit dem umwerfenden Ehedrama «Marriage Story» zu verdienten Oscar-Weihen kam, drehte der Autorenfilmer Noah Baumbach diese Tragikomödie um eine New Yorker Künstlerfamilie für
Netflix. Und wie alle seine Filme ist auch «The
Meyerowitz Stories (New and Selected)» nicht nur ein Festival geistreichen Humors und scharfzüngiger Dialogsalven; es ist auch wieder ein Spektakel höchster Schauspielkunst: Dustin Hoffman
ist zum Niederknien als egomanisches Möchtegern-Genie Harold Meyerowitz, dessen moderate Erfolge als Bildhauer in der Kunstszene und an dem College, an dem er unterrichtete, eigentlich schon
längst verblasst sind, in seinem Kopf indes ein so buntes und flamboyantes Eigenleben führen wie ehedem. Dies umso mehr, als seine Liebsten ihm und dem Kult, den er um sich aufgebaut und über all
die Jahre wortreich kultiviert hat, unbeirrt treu ergeben sind: seine vierte, mit Alkoholproblemen kämpfende Gattin Maureen (Emma Thompson), seine linkische Tochter Jean (Elizabeth Marvel) und
allen voran sein Sohn Danny (Adam Sandler) – ein liebenswerter, wenn auch bisweilen aufbrausender Tscholi, der sowohl seinen Job als auch seine Frau verloren hat, es dafür umso besser kann mit
seiner filmkünstlerisch ambitionierten Tochter (Grace Van Patten). Einzig Dannys Halbbruder Matthew (Ben Stiller), der sich nach Kalifornien abgesetzt und sich in der Finanzbranche einen Namen
gemacht hat, sieht diese ganzen Familienangelegenheiten aus der Distanz ein wenig differenzierter. Aber das ändert überhaupt nichts daran, dass er nach wie vor Harolds Lieblingskind ist. Und das
wiederum macht dem alles für die Zuneigung seines Papas machenden und sich als Musiker abstrampelnden Matthew halt schon ziemlich zu schaffen.
Es ist eine schrecklich nette Familie, deren sehr eigene Dynamiken Baumbach hier mit viel Witz und Verve in Szene setzt. Und obwohl oder vielleicht gerade weil dieser Erbe Woody Allens in seinem
wuseligen zehnten Film für einmal weder auf intellektuelle Tiefe noch emotionale Tragik abzielt, ist «The Meyerowitz Stories» nicht nur sein bis dahin zugänglichster, sondern auch sein bester und
nicht zuletzt dank der berührenden Performance ausgerechnet von Adam Sandler sein menschlichster Film geworden. Wie sich kurz darauf in «Marriage Story» zeigen sollte, war das zwar nur ein
Vorgeschmack auf die Filmwunder, die Baumbach zu vollbringen imstande ist. Es ist dies freilich ein überaus köstlicher Appetizer. Und ein überraschend leicht verdaulicher noch dazu.
Dass schon im Jahr 1969 Computerhacker ihr Unwesen trieben und den politischen Betrieb störten, ist eine der nicht wenigen Dinge, die man aus Phil Alden Robinsons Caper-Komödie «Sneakers» (1992) lernen kann. Und dass die beiden
fraglichen Lausbuben ihre technischen Fertigkeiten und die von ihnen zweckentfremdeten Uni-Gerätschaften nicht etwa dazu nutzen, um irgendwelche grauslichen Grobiane ins Präsidentenamt zu hieven,
sondern um Gelder von der Republikanischen Partei an diverse linke Organisationen umzuleiten, gehört zu den vielen Sachen, die Freude machen in diesem Film. Ungleich weniger spassig geht es
fürderhin freilich für jenen der beiden Hacker weiter, der von der Polizei geschnappt wird und alsdann ins Kittchen kommt, wo er dem Vernehmen nach einige Jahre später stirbt. Sein Komplize
hingegen, der gerade Pizza holen war, als die Polente eintraf, erfreut sich rund 20 Jahre und einen Namenwechsel später unvermindert eines aufrührerischen Geists und revolutionären Tatendrangs.
Aber das könnte sich für Martin Bishop alias Brice (Robert Redford) nun ändern, da die NSA auf der Matte steht und ihn dazu nötigt, eine für die US-Regierung eminent wichtige mysteriöse «Black
Box» eines genialen Mathematikers zu stibitzen.
Was sich nun in «Sneakers» entwickelt, folgt recht konsequent den Genreregeln des Caper-Movies – nur dass das Team aus Spezialisten nicht erst rekrutiert werden muss, sondern bereits seit
Längerem an der Seite von Martin in Robin-Hood-Manier dafür kämpft, den Reichtum mit allerlei technologischen Kunststückchen und einer Menge krimineller Energie von den Grosskopferten an die
Bedürftigen umzuverteilen. Wie Martin sind sie allesamt zwar Genies auf ihrem Fachgebiet, gleichzeitig aber mit einem Leumund ausgestattet, der sie nicht eben dazu prädestiniert, nach höheren
Weihen zu streben: der bei der CIA in Ungnade gefallene Donald (Sidney Poitier); der junge Hacker-Hero Carl (River Phoenix); der verschwörungsaffine Elektronik-Spezialist «Mother» (Dan Aykroyd);
und der blinde Telefon- und Abhör-Guru «Whistler» (David Strathairn). Für die weibliche Note zu sorgen, obliegt derweil Mary McDonnell, die sich in der Rolle von Martins Ex-Freundin Liz in einer
der komischsten Szenen des Films als «Honigfalle» einspannen lässt. Überhaupt ist Robinson («Field of Dreams») hier nicht nur ein jederzeit spannender und packender Thriller, sondern auch eine
überraschend frische Komödie geglückt. Deren politische Untertöne verleihen ihr dann noch das gewisse Extra; und die formidable, vom unvergleichlichen Robert Redford in einer Paraderolle
angeführte Besetzung, zu der sich auch noch Ben Kingsley gesellt, macht «Sneakers» endgültig zu einem trotz über zwei Stunden Spielzeit extrem kurzweiligen Vergnügen.
Zimperlich geht es in dem Erstling von Regisseur Na Hong-jin («The Yellow Sea», «The Wailing») aus dem Jahr 2008 nicht eben zu und her. Die «New York Times» bezeichnete diesen von Tatsachen
inspirierten Serienkiller-Film mit Blick auf seine Gewaltexzesse als «unverkennbar koreanisch»; und das Team hinter «The Departed», diesem ebenso wenig zärtelnden Remake des im Ausland wohl
bekanntesten koreanischen Kinohits, sicherte sich denn auch gleich mal die Rechte für eine Neuauflage made in Hollywood. Dass daraus nie etwas geworden ist und der designierte Hauptdarsteller
Leonardo DiCaprio und Drehbuchautor William Monahan längst das Interesse daran verloren haben, kann man zwar schade finden. Aber im Grunde hat «The Chaser» ja ohnehin keine
Veränderungs- oder gar Verbesserungsarbeiten nötig. Es ist alles gut, so wie es ist.
Nicht so gut läuft es derweil dem korrupten ehemaligen Polizisten Joong-ho (bärenstark: Yoon-seok Kim), der sich inzwischen als Zuhälter in Seoul verdingt. Zwei seiner drei Prostituierten sind
verschwunden, und die dritte findet sich in den Fängen eines Sadisten wieder. Der wird zwar bald einmal von Joong-ho gestellt und von dessen Ex-Kollegen verhaftet; doch der Aufenthaltsort der
Gefangenen bleibt weiter unklar, da der potenzielle Serienkiller in Polizeigewahrsam Psychospielchen à la Hannibal Lecter treibt und Joong-ho so in einen rasanten Wettlauf gegen die Zeit zwingt.
Dieser ist nicht nur brillant actionreich inszeniert voller maximal kompetent choreografierter Verfolgungsjagden, sondern auch clever wendungsreich konzipiert mitsamt einer
gesellschaftskritischen Komponente, sodass die über zwei Stunden Spielzeit wie im Flug vergehen. In Sachen Ästhetik lehnt sich «The Chaser» an amerikanische Genregrössen wie «Se7en» an, variiert
deren Strategien allerdings immer wieder geschickt und schmuggelt sogar die eine oder andere Prise schwarzen Humor ins atemlos packende und schnaufverschlagend spannende Geschehen. Herausgekommen
ist so etwas, was sich zugleich klassisch und originell anfühlt: ein stimmiger und atmosphärischer Cop- und Serienkiller-Thriller.
Von 1986 bis 1994 lief diese Serie über eine renommierte Anwaltskanzlei in Downtown Los Angeles. In acht Staffeln und 172 Episoden durchleuchtete das Team um TV-Legende Steven Bochco («NYPD
Blue») nicht nur das juristische Geplänkel der smarten Rechtsjongleure en détail oder die mannigfachen Dynamiken am reich bevölkerten Arbeitsplatz inklusive allerlei Liebeleien und
Eifersüchteleien, Karriereknicks und Laufbahnsprüngen. In typischer Bochco-Manier wurde auch das (kalifornische) Lebensgefühl mitsamt den sozialen und politischen Ideologien transportiert und dem
Zeitgeist gehörig auf den Puls gefühlt, wenn die Star- und Staatsanwälte oft genug bis zum Hals in Fälle verwickelt wurden, die sie mit den damals drängendsten und brisantesten Themen
konfrontierten: von Abtreibung über Schwulenrechte, Todesstrafe und sexueller Belästigung bis zu AIDS und den Rassenunruhen von 1992. Auch dank dem guten Mix aus Humor und Ernsthaftigkeit
schaffte es «L.A. Law» nicht nur zu enormer
Popularität, die mit dem Gewinn des Emmy für die Beste Dramaserie in gleich vier von fünf aufeinanderfolgenden Jahren (1987 und von 1989 bis 1991) ihren Gipfel fand; sie hatte auch einen nicht zu
unterschätzenden Einfluss darauf, wie das amerikanische Publikum das US-Rechtssystem und dessen Akteure wahrnahm – und bis zu einem gar nicht mal so geringen Grad sogar darauf, wie Anwälte ihren
Job machten, wie sie sich kleideten und zu einer Jury sprachen.
Dass Juristen den Stars von «L.A. Law» nacheiferten, ist insofern durchaus verständlich, als die meisten von ihnen doch ziemlich coole und allesamt zumindest spezielle Typen waren: der fesche
Harry Hamlin als heimliche Hauptattraktion der ersten sechs Staffeln etwa; die späteren TV-Urgesteine Jimmy Smits und Blair Underwood als Vertreter ethnischer Minderheiten; Jill Eikenberry als
feministisches Gewissen der Kanzlei; Corbin Bernsen als Rockzipfel jagender Scheidungsanwalt im Porsche-Cabrio; John Spencer als Querdenker mit gelockerter Krawatte und Glimmstängel im
Mundwinkel; Alan Rachins als kosten- und profitbewusster Büro-Buhmann; und natürlich Richard Dysart als fachlich und moralisch herausragende graue Eminenz. Die grosse Kinokarriere machten
freilich Leute, die sich bloss für einen Gastauftritt einfanden, unter ihnen Christian Slater, Bryan Cranston, Don Cheadle, William H. Macy, Steve Buscemi, Lucy Liu, Kathy Bates oder Kevin
Spacey. Dass die Besetzung einer der grössten Trümpfe der Serie war, zeigt sich auch darin, dass «L.A. Law» (zusammen mit «Hill Street Blues», «The West Wing» und «Game of Thrones») einen bis
heute gültigen Emmy-Rekord hält: Sagenhafte neun Stammdarsteller waren 1989 für den prestigeträchtigen Fernsehpreis nominiert.
Ein Mann, ein Gütesiegel: Wo der Name Tom Berenger draufstand, da war gerade in den Achtzigern und Neunzigern meist knackige Krimikost drin. Typischerweise zwar nichts, worüber man sich in Briefe
an seine Liebsten länglich auslassen müsste – aber fadisiert hat man sich mit dem kernigen Kerl aus Chicago kaum je. Natürlich hat Berenger zwischendurch auch mal etwas fürs Renommee gemacht, mit
Starregisseuren wie Ridley Scott, Robert Altman und später dann Christopher Nolan («Inception») gearbeitet und etwa für seine Rolle in Oliver Stones Kriegsfilm-Epos «Platoon» eine
Oscar-Nominierung eingeheimst. Am hartnäckigsten in Erinnerung gebrannt hat er sich allerdings mit Rollen wie jener des rechtsradikalen Vietnam-Veteranen in Costa-Gavras «Betrayed», des Manns
ohne Gedächtnis in Wolfgang Petersens «Shattered», des dubiosen Nachbarn in Philip Noyce’ «Sliver», des findigen Cops im Krimi-Geheimtipp «A Murder of Crows» – oder des zupackenden Fährtenfinders
Jonathan Knox in Roger Spottiswoodes vielleicht formelhaften, aber formidablen Actionthriller «Shoot to Kill» (aka «Deadly Pursuit») aus dem Jahr 1988.
Berenger agiert hier quasi als Sidekick des nach längerer Kinoabstinenz comebackenden Sidney Poitier. Dieser gibt einen FBI-Agenten, den es nach einer tödlich endenden Geiselnahme derart
durchschüttelt, dass er nicht zu ruhen gedenkt, bis der Übeltäter seiner gerechten Strafe zugeführt worden ist. Von San Francisco aus verschlägt es ihn zu diesem heiligen Zweck gen Norden in die
Wälder von Washington, wo sogleich die nächste Leiche auf ihn wartet. Was folgt, ist eine erbarmungslose und actiongeladene Jagd über Stock und Stein bis nach Kanada, in die auch noch Kirstie
Alley verwickelt wird. Der spätere Bond-Regisseur Spottiswoode («Tomorrow Never Dies») inszeniert dieses Katz-und-Maus-Spiel vor naturgewaltiger Kulisse ohne Schnickschnack, dafür mit umso mehr
Punch und Pace; das Skript wartet mit dem einen oder anderen Twist auf und schräubelt da und dort recht clever an der klassischen Buddy-Movie-Formel; und auch Berenger setzt auf altmodische
Kinowerte, agiert ganz gemäss seinem Typ und gibt einen harten Knochen von echtem Schrot und Korn, der vor nichts zurückschreckt und sich von niemandem und schon gar nicht einem Städter wie
Poitier rumkommandieren lässt. Dass er das auch über 30 Jahre später, mit inzwischen über 70 Jahren, noch ganz ordentlich draufhat, durfte Berenger übrigens erst eben wieder als Jäger in den
schneebedeckten Wäldern von Maine in dem gar nicht mal so üblen Thriller «Blood and Money» (aka «Allagash») beweisen. Wo Berenger draufsteht, ist also auch heute noch –manchmal – solides
Krimiwerk drin. Schön, dass sich manche Dinge nicht ändern lassen.
Nichts gegen Kevin Costner und Woody Harrelson. Die machen ihre Sache in «The Highwaymen» sicher nicht schlecht und jedenfalls mindestens so gut, wie sie in den letzten drei Jahrzehnten noch fast jeden Job erledigt haben, der ihnen aufgetragen worden ist. Aber die Vorstellung, dass dieser historische Kriminalfilm ursprünglich einmal ein Vehikel für Robert Redford und Paul Newman sein sollte: Das macht halt schon wahnsinnig wehmütig. Um 2005 herum war es, als man es den beiden Kinotitanen schmackhaft zu machen versuchte, in die Rollen von Frank Hamer und Maney Gault zu schlüpfen: der beiden alternden und eigentlich längst ausrangierten Texas Rangers, die im Mai 1934 das schiesswütige Gangsterpaar Bonnie Parker und Clyde Barrow endlich zur Strecke brachten und mit einem monumentalen Kugelhagel einem monatelangen ekstatischen Amoklauf ein Ende setzten. Doch dann verkümmerte das Projekt erst mal für Jahre in der Entwicklungshölle, ehe es vor rund zwei Jahren von Netflix schliesslich wiederbelebt wurde. Aber da war es für eine Reunion von Butch Cassidy und dem Sundance Kid natürlich längst zu spät.
Seis drum. «The Highwaymen», in teils prächtig-wuchtigen Bildern und vorwiegend gemächlichem Tempo inszeniert vom alten Haudegen John Lee Hancock («The Blind Side»), ist auch so ein kerniges und
kompetentes Stück Kino – oder eben Fernsehen – geworden. Und vor allem auch eines, das eine überaus spannende und überraschende Geschichte zu erzählen hat. Man kann also verstehen, dass man das
Drehbuch des Westernspezialisten John Fusco («Young Guns») trotz all der höllischen Entwicklungsunbilden nicht einfach zu den Akten legen wollte. Fusco macht hier nämlich etwas ganz Geschicktes:
Er nimmt eine bekannte, ja nachgerade legendäre Geschichte und erzählt sie von der anderen, der unbekannten Seite her. So wird das wilde Treiben von Bonnie und Clyde nicht romantisiert, sondern
als das gezeigt und gewürdigt, was es war: eine unrühmliche Reihe von bestialisch kaltblütigen Gräueltaten, die sich zwar auch gegen die damals schon verhassten Banken und die gerade im Süden der
USA kritisch beäugten Institutionen, das Establishment gleichsam, richteten, denen aber auch zahllose rechtschaffene Gesetzeshüter zum Opfer fielen. Ebenso wenig wie Hamer und Barrow teilt denn
auch der Film die Begeisterung der Massen für das Killerpaar – man meint Hancock und Fusco angewidert mit dem Kopf schütteln zu sehen, wenn sie in einer Einblendung im Abspann festhalten, dass
jeweils um die 20'000 schaulustige «Fans» zu den Beerdigungen von Bonnie Parker und Clyde Barrow erschienen sind und diese zu regelrechten Prozessionen in den Strassen von Dallas gemacht haben.
Naturgemäss gerät «The Highwaymen» so nicht zu einer derart unterhaltsamen Chose wie Arthur Penns New-Hollywood-Kultstreifen von 1967; und selbstverständlich hat das nicht einmal in Ansätzen
dessen filmhistorische Bedeutung. Aber dafür haben Fusco und Hancock einiges zu sagen über blinden Personenkult und die Verblendung der Massen. Und das ist etwas, was gerade auch heute von Belang
ist.
Vom verblüffenderweise auch schon 60-jährigen Charakterkopf John Hawkes durften wir in den letzten Jahren ja einige Glanzauftritte bestaunen: zunächst im Fernsehen, etwa in «Deadwood» oder
«Lost», ab den Zehnerjahren dann mehrheitlich im Kino und dort wiederum vorzugsweise in Nebenrollen, am nachdrücklichsten in «Lincoln», «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» oder «Winter’s
Bone», seinem eigentlichen Durchbruch, der ihm seine bislang einzige Oscar-Nominierung eingebracht hat. Wird Hawkes für einmal der Hauptpart anvertraut, so handelt es sich typischerweise um
Kleinproduktionen: die Erotik-Tragikomödie «The Sessions» etwa, in der er einen gelähmten Poeten spielte, der eine sogenannte Surrogatpartnerin anheuert, um seine Jungfräulichkeit zu verlieren,
oder den arg stil- und selbstverliebten Krimi «Too Late» und den soliden Neo-Noir-Thriller «Small Town Crime», in denen er eher den kernigen oder kaputten Kerl gab. Was der Mann mit der krummen
Nase jetzt aber als einer von zwei Hauptdarstellern in der Dramödie «End of Sentence» veranstaltet hat, verdient besondere Beachtung, schreit nach einem Extra-Applaus und verlangt ein besonders lautes
Hurra. Denn nicht nur ist das hier grossartiger gar noch als all die vergangenen Heldentaten; es ist leider auch kaum jemandem aufgefallen, wie Hawkes in der eher atypischen Rolle des soften und
ein wenig linkischen Witwers Frank Fogle zu seiner Karrierebestleistung aufblüht und ein fast schon magisches Zusammenspiel mit seinem Filmsohn Logan Lerman («The Perks of Being al Wallflower»)
aufzieht.
Ein kleines Kunststück ist es, wie Hawkes und Lerman es hier vollbringen, dass diese auf dem Papier durchaus klischeebehaftete Vater-Sohn-Geschichte jederzeit natürlich wirkt: dass es nicht
aufgesetzt und ausgeleiert rüberkommt, wie diese beiden entfremdeten lebenden Gegensätze auf ihrem Roadtrip durch Irland zwangsläufig zueinanderfinden. Auf diesen geschickt wurden sie von der
toten Mutter – ihr letzter Wunsch war es, dass Frank und Sean, die beiden Männer in ihrem Leben, ihre Asche in einem abgelegenen See in ihrer alten irischen Heimat verstreuen mögen. Damit es dazu
kommen konnte, musste Frank freilich einiges an Überzeugungsarbeit leisten; partout wollte Sean, der soeben aus einem Gefängnis in Alabama entlassen wurde und in fünf Tagen eine Stelle in
Kalifornien antreten soll, nichts mehr mit seinem alten Herrn zu tun haben. Und entsprechend unharmonisch gestaltet sich dieses Abenteuer zunächst – trotz einer feschen Anhalterin (Sarah Bolger),
die an einer Bar in Dublin bei mehr als einem Whiskey erst Sean und mit ihrer rührenden Darbietung des Pogues-Hit «Dirty Old Town» in einem Pub an der Westküste sodann auch Frank um den Finger
wickelt. Trinken und Singen, Pub und Pogues – das klingt zugegebenermassen jetzt nicht wirklich originell, mehr wie das amerikanische Standardbild von Irland. Aber auch das liest sich auf Papier
platter, als es dann tatsächlich ist. Was der isländische Regisseur Elfar Adalsteins bei seinem Langfilmdebüt auf die Beine gestellt hat, hat durchaus Originalität – auch wenn er sich den
unvermeidlichen Unfall mit einer Urne nicht hat verkneifen können. Aber da ist dann ja noch John Hawkes, der solche Ausrutscher im Nu vergessen macht.
32 Krimi hat der US-Amerikaner Harlan Coben mittlerweile veröffentlicht; und recht eigentlich eignete sich jeder einzelne von ihnen prima, in bewegte Bilder transponiert zu werden: Spannend,
voltenreich und gerne mit einer grösseren Portion Schnoddrigkeit im Stil von Dashiell Hammett, Raymond Chandler und anderer Hardboiled-Spezialisten garniert sind seine in hoher Kadenz und
ebenmässiger Frequenz fabrizierten, qualitativ dabei aber nie nachlassenden Pageturner. Umso verblüffender mag es anmuten, dass Coben bis heute noch nicht in Hollywood angekommen ist. Den
einzigen Kinofilm, der auf einem seiner Werke beruht, schuf 2006 Guillaume Canet mit «Ne le dis à personne»; rund ein Jahrzehnt später adaptierten die Franzosen zwei weitere Coben-Bücher im
Miniserienformat fürs Fernsehen; und heuer sind mit «The Stranger» und «The Woods» noch einmal zwei seiner Werke für Netflix in einen englischen Achtteiler und einen polnischen Sechsteiler
übergeführt worden. In all diese Projekte war Coben persönlich als Produzent involviert – einen noch grösseren Einfluss hatte er freilich bei den von ihm gar als Serienschöpfer verantworteten
britischen Produktionen «The Five» (2016) und «Safe» (2018), die beide nicht auf einem seiner Romane beruhen.
Der Achtteiler «Safe» ist wiederum ein Netflix-Kind; und wiewohl das wie gesagt keine Romanadaption ist und also wieder nicht in den USA oder spezifischer noch in New Jersey spielt, ist das ein
waschechter Coben: Angesiedelt ist er im oberflächlich so biederen Milieu gut situierter Vorortsbürger, und im Zentrum des kriminellen Geschehens steht abermals weder ein Cop noch sonst eine
klassische Ermittlerin, sondern ein Jedermann, dem wie weiland Cary Grant in Hitchcocks «North by Northwest» unversehens der Boden unter den Füssen weggezogen wird. Unser Held wider Willen und
ohne besondere detektivische Fähigkeiten ist hier der in einer «Gated Community» hausende Tom Delaney (Michael C. Hall aus «Dexter»), ein Arzt, der vor noch nicht so langer Zeit seine Frau
verloren hat und nun seine ältere Tochter (Amy James-Kelly) vermisst. Die 16-jährige Jenny wurde zuletzt an einer Party gesichtet; zuvor war sie offenbar einem lange zurückliegenden Geheimnis auf
die Spur gekommen, wie Tom mithilfe seines Arbeitskollegen Pete (Marc Warren) und der ihm mehr als nur nachbarschaftlich zugewandten Inspektorin Sophie (Amanda Abbington) bald einmal
herausfindet. Dieses Wühlen in der Vergangenheit – wieder so ein klassischer Coben-Topos – bringt dann auch ihn in Teufels Küche und allmählich um den Verstand, als ein Verdächtiger nach dem
anderen ausscheidet und Theorie um Theorie in die Irre führt. Das Miträtseln hier ist ein fast schon altmodischer Spass: Nach alter Serienväter Sitte steht nicht das Drumherum im Fokus; weder
sind die Schauspieler besonders spannend, noch sind Setting und Inszenierung übermässig fancy. König ist hier unmissverständlich der Plot, der von A bis Z wohldurchdacht und spannungstechnisch
perfekt durchgetaktet ist. Und sosehr all die grossen Serien im Kinoformat auch begeistern, so ist das dann doch auch wieder einmal eine willkommene Abwechslung. Wie Cobens Bücher nicht den
Status von Weltliteratur anstreben, so mögen auch seine Fernseharbeiten bescheidene Ziele verfolgen. Doch diese erreichen sie ebenso sehr mit Bravour. Und deshalb darf man denn auch hellauf
begeistert sein, dass sich Netflix die Rechte an gleich 14 Coben-Krimis gesichert hat. Als Nächstes geht dabei der spanische Achtteiler «El innocente» an den Start. Ob aus der Kinoverfilmung von
«Fool Me Once» mit Julia Roberts als Produzentin und Hauptdarstellerin noch jemals was wird, bleibt derweil abzuwarten. Das Projekt ist seit vier Jahren in der Schwebe – und bestätigt damit
die Bedenken, die Coben ohnehin schon gegenüber Hollywood hat. Aber wer braucht heutzutage schon noch Hollywood?
Als eine Art «Sequel eines Films, der gar nicht existiert», hat Drehbuchautor Andy Siara sein von der Kritik gefeiertes Langfilmdebüt bezeichnet. Und zumindest ein kleines bisschen ist «Palm Springs» auch das Update eines Films, der sehr
wohl existiert und seit bald 30 Jahren seinen fixen Platz in der Filmgeschichte hat. Die Geschichte eines Mannes, der in einem Loop gefangen ist und wieder und wieder denselben Tag durchleben
muss, sie wiederholt sich hier freilich auf eine derart frische Weise, dass wohl selbst Billy Murrays Grantler aus «Groundhog Day» seinen Spass daran haben würde. Obendrein wird sie natürlich
einigermassen stark variiert und mit originellen Ideen angereichert. So ist der unstete, sorglose Nyles (Andy Samberg aus «Brooklyn Nine-Nine») schon seit einer halben Ewigkeit in der
Zeitschlaufe gefangen, als auch sein «love interest» in spe aus Versehen in sie hineingerät. Sarah (Cristin Milioti) hat denn zunächst auch gar kein Verständnis für die Nonchalance, mit der Nyles
sein Los trägt. Freilich ist der Tag, den sie nun zumindest einstweilen ad nauseam überstehen muss, für sie ungleich mühsamer: Es ist die Hochzeit ihrer kleinen Schwester Tala (Camila Mendes) und
mithin die Zusammenkunft mit ihrer kompletten Verwandschaft, die nicht gar so viel von ihr hält, ja die sie längst als schwarzes Schaft abgeschrieben hat, «weil ich zu viel trinke und zu viel
rumvögle». Das mit dem Trinken trifft sich indes ganz gut; viel anderes, als Bier schlürfend in dem schicken Resort in der kalifornischen Wüste von Palm Springs rumzulümmeln, macht auch Nyles
inzwischen nicht mehr; und mit den bösen Überraschungen des Tages – etwa dass ihn seine tussige Freundin (Meredith Hagner) betrügt und ein durch seine Schuld ebenfalls im Loop gefangener
Wahnsinniger (J.K. Simmons) immer mal wieder foltert – hat er sich längst abgefunden und mehr recht als schlecht arrangiert. Insofern kann Sarah einiges von ihm lernen; doch noch ist sie nicht so
weit – noch überwiegen Unglauben und Entsetzen. Schliesslich gibt es ein paar handfeste Gründe für ihren hartnäckigen Missmut – Dinge, denen man sich lieber nicht Tag für Tag aufs Neue stellen
möchte.
Es verbirgt sich da also noch eine zweite Ebene in dem scheinbar so unbeschwerten ersten Langfilm von Regisseur Max Barbakow. Und das ist ja auch kein Wunder, hat Drehbuchautor Siara doch schon
mal zu Protokoll gegeben, der erste Entwurf seines Skripts sei mehr «Leaving Las Vegas» als «Groundhog Day» gewesen. Doch Obacht: Ein Drama ist «Palm Springs» deshalb noch nicht geworden, auch
keine Tragikomödie. Nein, das ist ganz entschieden eine lupenreine Komödie amerikanischer Prägung mitsamt einer etwas mehr als nur homöopathischen Dosis der unvermeidlichen brachialen
Albernheiten; es ist dies freilich nicht nur ein Schwank der lustigeren Sorte, sondern gerade dank der grandiosen Chemie zwischen Samberg und Milioti auch einer von der romantischeren Art, der,
wiewohl bisweilen lallend, tatsächlich ein paar bedenkenswerte Worte über die Liebe, ihre Grausamkeiten und ihre Wunder verliert. Entsprechend sorgt dieses rundum geglückte Doppeldebüt von
Barbakow und Siara sowohl überdurchschnittlich oft für schallendes Gelächter als auch für ein gelegentliches wohliges Lächeln, wenn sich Nyles und Sarah dann endlich näherkommen oder nach dem
obligaten Knacks wieder zueinanderfinden. Denn wie die beiden weiss Gott unvollkommenen Helden hat auch «Palm Springs» unter der schnoddrigen Bierseligkeit einen süssen und soften Kern. Und das
Beste daran ist, dass einem das in diesen flott und optisch durchaus ansprechend inszenierten 90 Minuten ohne klebrige Klischees und mit einer inspirierten Interpretation der bewährten
Genreformel angetragen wird.
Zwei Horrorfilme in Hollywood, ein Fernsehfilm, eine vier- und eine zehnteilige TV-Serie, sieben «Tatorte» mit den Kommissaren Tschiller und Borowski sowie sechs deutsche Kinofilme: Nein, der
mittlerweile 46-jährige hessische Regisseur Christian Alvart hat sich seit seinem fulminanten Durchbruch mit dem Thriller «Antikörper» vor anderthalb Jahrzehnten wahrlich nicht auf seinen
Lorbeeren ausgeruht. Dass es bei dieser halsbrecherischen Kadenz auch zu gewissen Formschwankungen kommt, liegt da quasi auf der Hand und nimmt man Alvart auch nicht weiter krumm, wenn dabei wie
zuletzt wieder vermehrt solch überdurchschnittliche Krimikost herauskommt wie der virtuos choreografierte gesellschaftskritische Actioner «Steig. Nicht. Aus!», die düstere
Sebastian-Fitzek-Adaption «Abgeschnitten» oder das auch zeithistorisch spannende Mörderrätsel «Freies Land». Wie Ersterer ist auch Letzteres eine Neuverfilmung eines spanischen Erfolgsfilms und damit voll im recht neuen Trend
der innereuropäischen Remake-Verwertung: «La isla minima» hiess dieses Genrejuwel aus dem Jahr 2014, dessen Geschichte um das Verschwinden zweier Schwestern im Teenageralter Alvart für «Freies
Land» vom südspanischen Marschland in ein Küstenkaff in Mecklenburg-Vorpommern verlegt hat.
Alvarts eine runde halbe Stunde länger geratenes Remake hält sich dabei recht eng an die Vorlage, ist mindestens so packend erzählt, ebenso hoch atmosphärisch inszeniert und übertrumpft diese
gar, indem es den Figuren den einen oder anderen zusätzlichen Schliff verleiht und so gerade die beiden Hauptdarsteller zu zweischneidigen und mehrschichtigen Charakteren formt. Was «Freies Land»
zu einem nicht nur überaus mitreissenden, sondern auch relevanten Kinoerlebnis macht, ist aber dessen zeitliche Verortung mitsamt den daraus abzuleitenden politischen und sozialen Implikationen:
Es ist das Jahr 1992, als Kommissar Stein (Trystan Pütter) aus dem Westen in den Nordosten Deutschlands fährt, um seinem trinkfesten und nach wie vor mit fragwürdigen (Stasi-)Methoden
operierenden Kollegen Bach (Felix Kramer) bei den Ermittlungen zu einem potenziellen Serienmörder-Fall unter die Arme zu greifen. Die Euphorie über die Wiedervereinigung ist in den neuen
Bundesländern längst verflogen, die «blühenden Landschaften» sind ein Hirngespinst, die Wirtschaft liegt in Trümmern, und die Menschen wollen nur eins: weg von hier. Es ist eine kaputte
Gesellschaft mit vom Leben verschlissenen kleinen Leuten, verrückten und versoffenen Vögeln und skrupellosen Raubrittern in Westkarossen, die Alvart hier, in seiner fraglos besten Arbeit seit
«Antikörper», mit gewohnt schonungslosem Blick und bisweilen ebenso typischen Abstechern ins Reisserische zeigt. Und es ist eine unversöhnliche, ganz und gar unromantische Geschichte, die weder
Sympathieträger noch Erlösung anbietet – und die gerade deshalb durch Mark und Bein geht und sich im Gedächtnis einnistet.
Das erste Bier gibts schon am Morgen unter der Dusche, bevor es zur Arbeit auf den Bau geht; das letzte von ganz vielen dann üblicherweise in der Stammkneipe in der alten Nachbarschaft, völlig ohne Scham, ohne es irgendwie verbergen zu wollen vor den mittlerweile entfremdeten Freunden, denen schliesslich nichts anderes übrig bleibt, als Alarm zu schlagen. Man habe ihr zugetragen, er sei jeden Tag betrunken, hält ihm seine Schwester (Michaela Watkins) an Thanksgiving vor; sie und auch seine von ihm getrennt lebende Frau (Janina Gavankar) machten sich Sorgen, wegen seines Alkoholkonsums und weil er immer mehr vereinsame. Doch für solcherlei Einmischung ist Jack (Ben Affleck) gerade gar nicht empfänglich; schliesslich ist er ein halbwegs funktionierender Trunkenbold. Ins Sinnieren kommt der Mittvierziger erst, als tags darauf Pater Devine (John Aylward) von der katholischen Highschool Bishop Hayes anruft: Sie wollten Jack zurück, sagt er ihm, dem einstigen Überspieler in ihrem Basketballteam, der seine so wahnsinnig vielversprechende Karriere einfach weggeworfen hat, um dem tyrannischen Vater eins auszuwischen. Trainer solle er werden und die von Niederlage zu Niederlage taumelnde Truppe auf Vordermann und in die Spur bringen. Und auch wenn Jack erst mal kategorisch ablehnt und beteuert, er habe mit dem Basketball vor langer Zeit unwiderruflich abgeschlossen: Was passiert, nachdem er sich am Abend daheim einen kompletten Kühlschrank voll Dosenbier einverleibt hat, ahnen wir natürlich schon längst; und wie es in dieser über weiteste Strecken formelhaften Erlösungsgeschichte weitergehen wird, wie Jack den langen Weg zurück zu sich selbst bestreiten und wie sich sein dann doch recht talentiertes Team schlagen wird, das haut einen ebenso wenig vom Hocker und lässt einen bisweilen eher mit der Schulter als der Wimper zucken.
Die Qualitäten von «The Way Back», sie liegen
anderswo – und sie lassen sich auf zwei Namen herunterbrechen: Einer von ihnen ist Regisseur Gavin O'Connor, der sich bereits im Meisterwerk «Warrior» um den Sportfilm verdient gemacht hat und
hier wie dort ein profundes Verständnis für das Milieu seiner Underdog-Geschichte offenbart. Der andere ist Hauptdarsteller Ben Affleck, den O'Connor im Erfolgsthriller «The Accountant» schon
einmal kundig angeleitet hat und den er hier in teils atemberaubenden Bildern an der Küste von L.A. ins beste Licht rückt. Auch wenn es meistens fragwürdig ist, Privates mit Beruflichem zu
vermischen und darüber zu spekulieren: Das persönliche Alkoholdrama, das Affleck überaus öffentlich durchlitten hat, wird ihm sicher dabei geholfen haben, seine Figur zu verstehen und sie fern
von jeglicher melodramatischen Überhöhung mit einer Authentizität zu spielen, die ihm womöglich gar seine erste Oscar-Nominierung als Schauspieler einbringt. Affleck ist der Anker dieser
Geschichte, er hat eine unfassbare Präsenz, er weckt Mitgefühl und Sympathien für diesen versehrten Helden von gestern, der trotz aller Formeln und Klischees selbst dann noch lebensecht wirkt,
wenn er zum Schluss, im schönsten Bild des Films, in der kalifornischen Abendsonne seine Leidenschaft und eben sich selbst wiederfindet. Es ist dies fraglos die ehrlichste, die tiefgründigste
Leistung des einst belächelten und als Schnösel abgestempelten Hollywood-Stars Ben Affleck. Und irgendwie mag man ihm das jetzt doch gönnen.
Wo soll man nur ansetzen bei seiner Lobeshymne auf dieses prächtige, höchst originelle cineastische Kleinod? Vielleicht beim Punkt, wie cool es doch ist, dass der 38-jährige Regienovize Andrew
Patterson die 700'000 Dollar, die «The Vast of
Night» gekostet hat, aus dem eigenen Sack finanziert hat – etwa über den Verdienst als Produzent von Kurz- und Werbefilmen für den Basketballklub City Thunder aus seiner Heimat Oklahoma.
Sodann sollte wohl bald einmal gesagt werden, wie sinnvoll Patterson dieses Minibudget eingesetzt hat und wie elegant sein Science-Fiction-Kammerspiel als Folge davon rüberkommt. Das wiederum ist
auch dem Talent und der Professionalität der weiteren Mitstreiter geschuldet, von denen man unbedingt als Erstes Kameramann Miguel Ioann Littin Menz herausstreichen muss: Wie der die Kleinstadt
Cayuga, New Mexiko, auskundschaftet und vermisst, wie er sich an die Fersen der Protagonisten heftet oder in einem Höllentempo eine menschenleere Strasse hinuntersegelt und sich zwischen
geparkten Autos hindurchzwängt, um zur vollgepferchten Tribüne und dem Spiel des örtlichen Basketballteams vorzudringen – das ist ein bärenstarkes Stück. Was sich freilich auch über das
Produktionsdesign sagen lässt, das die Fünfzigerjahre in all ihrer Pracht hochleben lässt und Patterson damit offenkundig eine Narrenfreude bereitet, wie dessen in zahllosen Grossaufnahmen
zelebriertes Faible für die antiken Gerätschaften und Apparaturen verrät. Und was diese schliesslich an Lauten von sich geben, ist dann eine Meisterleistung des Sounddesigns, dem hier eine der
Hauptrollen zukommt.
Dies neben Jake Horowitz, der einen jungen Radio-DJ mit Maschinengewehr-Mundwerk mimt, und Sierra McCormick, die die 16-jährige Fay gibt – eine vife Highschoolschülerin, die sich als Telefonistin
etwas dazuverdient. Ihre Jobs sind es denn auch, die die beiden forschen Jünglinge zu den zentralen Figuren an diesem mysteriösen Abend machen, dessen Geschehnisse wir in erster Linie aus zweiter
Hand erklärt bekommen: von einem gesichtslos bleibenden Anrufer, der mit einem Rapport über ein traumatisches Ereignis während seiner Militärzeit in der Radiosendung jene seltsamen Geräusche zu
verorten versucht, die Fay soeben über die Telefonzentrale empfangen hat; und von einer Seniorin, die bei sich daheim die wilden Spekulationen des Anrufers untermauert und mit ihrem Verdacht, ihr
Sohn sei vor Jahren von Ausserirdischen entführt worden, eine ominöse Vorahnung gibt. Es wird hier also mit minimalsten Mitteln – im Zwiegespräch, über Erzählungen – maximale Spannung erzeugt.
Und damit wären wir auch noch bei den Meriten des Drehbuchs angelangt, das Patterson unter Pseudonym gemeinsam mit Craig W. Sanger, ebenfalls ein Debütant, verfasst hat. Man wagt sich jetzt wohl
nicht zu weit auf die Äste hinaus, wenn man dem Jungregisseur aus Oklahoma, der obendrein ein Jahr am Schnitt hantiert hat, prophezeit, dass er bei seinem nächsten Projekt über ein ungleich
üppigeres Budget verfügen wird. Aber ob das dann auch den genialen Charme dieses im Stil einer «Twilight Zone»-Doppelfolge aufgezogenen Kabinettstücks versprühen wird, muss einstweilen so
spekulativ bleiben wie die rätselhaften Ereignisse von Cayuga, New Mexiko, an diesem milden Sommerabend in den Fünfzigerjahren.
Juniorassistentin bei einer Filmproduktionsfirma in New York: klingt nach Traumjob. Ist aber: eine geradeso fade Arbeit wie auf einem x-beliebigen Sekretärinnenposten, einfach mit
unsympathischeren Mitarbeitenden. Und ein Knochenjob ist das obendrein, was die smarte Collegeabgängerin Jane (Julia Garner) da seit fünf Wochen verrichtet. In aller dunklen Herrgottsfrüh wird
sie von zu Hause in Astoria, Queens, zur Arbeit in Manhattan gekarrt, ist die Erste im Büro, erledigt dann schon mal allerlei Bürokram, leert die Papierkörbe, füllt die Wasserflaschen im
Kühlschrank auf, macht Kaffee, druckt Skripts aus, trifft die letzten Vorbereitungen für den nächsten Businesstrip ihres Chefs. Routinearbeiten allenthalben und mithin nichts, wofür man
studiert haben müsste. Und spannender wird ihr Arbeitstag, den sie als Letzte im Büro wiederum im Dunklen beschliessen wird, nicht werden – nur mühsamer und unappetitlicher. Nicht nur wird sie
von ihrem unsichtbar und namenlos bleibenden Boss und dessen Frau mehrmals am Telefon beschimpft, worauf sie dann mit blumigen Worten per E-Mail Busse zu tun hat. Und nicht nur wird sie von den
meisten ihrer Bürogenossen entweder wie Luft oder aber wie Dreck behandelt. Nein, sie wird auch noch von dem windigen HR-Leiter (Matthew Macfadyen) schnöde abgekanzelt, als sie ihm ihren Verdacht
kundtut, ihr Herr und Gebieter habe da gerade die neue, völlig unqualifizierte, dafür umso jüngere und hübschere Kollegin (Kristine Froseth) in einem Hotelzimmer vernascht. Und spätestens da
reift in Jane die Erkenntnis, dass sie hier wohl eher nicht am richtigen Ort ist.
Auch wenn das nie konkret angesprochen wird: Der Harvey-Weinstein-Fall wird in Kitty Greens 85-minütigem, über den Zeitraum eines langen, grösstenteils faden Arbeitstages erzähltem Drama «The Assistant» wohl Pate gestanden haben. Angeführt
von einer überragenden Leistung der bislang vor allem fernseherprobten Julia Garner («Ozark», «Maniac», «The Americans»), berichtet dieses klaustrophobisch-verstörende Low-Budget-Juwel freilich
nicht so sehr von den spezifischen Unbilden des Filmgeschäfts als vielmehr auf einer allgemeineren Ebene von toxischen Arbeitsplatzverhältnissen in Zeiten von #MeToo. Und er tut das keineswegs in
anklagendem, gar melodramatischem Ton, sondern sachlich, nüchtern – nur einmal kullern ein, zwei Tränchen über Janes Gesicht, die sonst angespannt um Professionalität bemüht ist und sich nicht
mal aus der Fassung bringen lässt, als sie von ihrer Mutter am Telefon darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass sie den Geburtstag des Vaters vergessen habe. Gerade dieses unsichere gleichsam
sklavische Ringen um Reife und Kontrolle ist es dann aber, was uns so sehr trifft und uns mit dieser im Grunde gar nicht so bemerkenswerten und recht eigentlich eher anonym bleibenden Heldin
solidarisieren und für ihre tausend Tode sterbende Seele beten lässt. Und das wiederum macht diesen Film so bemerkenswert effizient.
Dieser eigenwillige kleine Mysterythriller war gleich für vier Canadian Screen Awards nominiert; und wie sehr die Sounddesigner, der Cutter, die Kamerafrau und Nebendarsteller Andy McQueen das auch verdient haben: Die wirklichen Helden hier sind trotzdem andere. Allen voran natürlich der junge koreanischstämmige Regisseur Albert Shin, der dieses Puzzle um eine 25 Jahre zurückliegende Kindsentführung mitgeschrieben und inszeniert hat. Dann ebenso selbstverständlich die Engländerin Tuppence Middleton, deren Abby eine formidable unzuverlässige Heldin abgibt, die vielleicht etwas auf der Spur ist, wenn sie sich nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt nahe der Niagara-Fälle aus Trauer über den Tod der Mutter in die Aufklärung des längst erkalteten Falls stürzt – womöglich aber auch nur einem weiteren Hirngespinst nachjagt. Und schliesslich trumpft da auch noch der kanadische Starregisseur David Cronenberg gross auf in der (Neben)rolle des örtlichen Verschwörungstheoretikers.
«The Dissappearance at Clifton Hill» ist
einer der eher seltenen glücklichen Fälle, wo sie vor und vor allem hinter der Kamera die richtige Mischung finden aus schwarzem Humor und düsterer Atmosphäre, aus Suspense und Skurrilität. Es
weht hier mit anderen Worten also nicht nur wegen der Wasserfälle ein Hauch von «Twin Peaks» durch die verlassene und verblasste Szenerie. Freilich kreiert Shin dabei eine zwar ebenso
eigenartige, aber ganz eigene Welt: einen aus der Zeit gefallenen und bisweilen von dieser losgelösten Nicht-Ort, der quasi auf der Rückseite eines Postkarten-Touristenmagneten ein nostalgie- und
wehmutumwehtes Schattendasein fristet. Dessen ziemlich trostloses Zentrum ist das Rainbow Inn, das dem Untergang geweihte Motel der toten Mutter, das Abby entgegen dem Willen ihrer Schwester
(Hannah Gross) nur ungern dem lokalen Tycoon überlassen möchte. Und Abby ist nicht die Einzige, die sich hier wohlfühlt: Auch Shin nistet sich im Rainbow Inn ein, erkundet jeden staubigen Winkel
dieser stoisch-trotzig ihrem Ende entgegenstrebenden Absteige und lässt sie in so kunst- wie stimmungsvollen Bildern nochmals zu einem letzten heiseren Hurra im Neonlicht erstrahlen. Wäre das
nicht alles so schaurig-schön, man müsste es direkt mit der Angst zu tun bekommen. Doch dafür ist ja die zusehends erschütterndere Kriminalgeschichte da, die einem zwar nicht gerade den Atem
stocken lässt, dafür aber mit einem fiesen finalen Twist aufwartet. Auch hier gilt mithin: Die Mischung passt prächtig.
Das ist mal ein flotter Kerl: ein erfolgreicher, fleissiger und umtriebiger Chef, der trotzdem bescheiden ist, für alles ein offenes Ohr hat und jedem ein freundliches Lächeln schenkt. Dr. Frank
Tassone (Hugh Jackman) ist ein Superintendant, wie ihn sich jede Schule Amerikas wünscht – einer, mit dem man die Spitze der Rankings erklimmt und der nicht nur überaus vorzeigbar, sondern auch
eine Inspiration für Schüler und Angestellte gleichermassen ist. Umso unfassbarer ist es dann, was sich an der Roslyn High School in Long Island, New York, ab dem Jahr 2002 allmählich entfaltet:
der grösste Fall von Veruntreuung in der Geschichte der öffentlichen Schulen Amerikas. Zunächst schaut es ja noch so aus, als gehe es «bloss» um eine Viertelmillion, die Tassones schrille
Stellvertreterin Pam Gluckin (Allison Janney) da für Umbauten an ihrem privaten Heim abgezweigt hat. Weil ein solcher Skandal natürlich Gift für das Image der Schule und im Gefolge dessen auch
für die Liegenschaftspreise in der Gemeinde ist, einigt man sich im Schulrat auf Empfehlung des allseits beliebten, ja geradezu geliebten Superintendant darauf, die Sache auf dem kurzen Dienstweg
zu regeln, sprich: unter den Teppich zu kehren. Als dann aber eine 15-Jährige (Geraldine Viswanathan) für einen Artikel in der Schülerzeitung nachbohrt, tiefer schürft und endlich vernichtende
Dokumente zutage fördert, fallen sie alle aus Wolke sieben: Auch der feine Doktor mit seiner properen Erscheinung und den formvollendeten Manieren hat zugelangt – und das nicht zu knapp.
Das Drehbuch zum HBO-Film «Bad Education»
(2019) hat mit Mike Makowsky einer geschrieben, der weiss, was hier Sache ist: Er war vor rund anderthalb Jahrzehnten Schüler im Schulbezirk von Roslyn, als dessen Superintendant festgenommen
wurde. Dieser speziellen persönlichen Verbindung mag es denn auch geschuldet sein, dass die vom 31-jährigen Newcomer Cory Finley («Thoroughbreds») inszenierte Tragikomödie ein
überdurchschnittlich nuanciertes Bild seiner so tief gestürzten Hauptfigur zeichnet: Da ist zwar diese unfassbare, unbelehrbare Dreistigkeit, mit der Tassone sein Tun auch vor sich selbst
rechtfertigt; diese realitätsverlustreiche «Das habe ich mir verdient»-Attitüde, wie man sie von so vielen soziopathischen Betrügern kennt, die erst die Bodenhaftung verlieren und dann vom
rechten Pfad abkommen. Es ist da obendrein eine gleichsam comichafte Eitelkeit, die den Superintendant, der nicht nur beruflich, sondern als Homosexueller auch noch privat ein Doppelleben führt,
bisweilen der Lächerlichkeit preisgibt. Gleichzeitig wohnt diesem komplizierten Wesen aber auch etwas unbestritten Edelmütiges inne, das man ihm bis zum bitteren Ende und auch noch darüber hinaus
abkauft. Und auch wenn Regisseur Finley die absurde Komik dieser Geschichte immer wieder fein herausstreicht und Autor Markowsky die Missetäter mit spitzen Dialog vorführt: Die Tragik von
Tassones Fall in maximale Ungnade trifft einen durchaus, sein sicher selbstverschuldetes Schicksal geht einem ans Herz und sogar ein bisschen an die Nieren – und das bestimmt nicht zuletzt
deshalb, weil Hugh Jackman diesem seltsamen Helden die vielleicht beste Leistung seiner Karriere angedeihen lässt.
Zack («Twin Peaks»-Sheriff Michael Ontkean) und Claire (Kate Jackson aus «Charlie’s Angels») haben alles: Erfolg, Glück, Geld und nicht zuletzt sich selbst. Er reüssiert als Onkologe, sie als
Fernsehproduzentin; getroffen haben sie sich am College, verheiratet sind sie nunmehr seit acht Jahren; verstehen tun sie sich blind; und jetzt kaufen sie endlich ein grosses Haus ausserhalb von
Los Angeles, um eine Familie zu gründen. Doch da gibt es dieses Geheimnis, das Zack seit je mit sich herumschleppt: Er fühlt sich von Männern angezogen. In seiner Mittagspause checkt er
Schwulenbars in West Hollywood aus, wobei er aber nie den nächsten Schritt tut und seine geheime Leidenschaft auslebt. Das ändert sich, als er den Schriftsteller Bart (Harry Hamlin aus «L.A.
Law») trifft. Mit ihm hat er zwar seine ersten homosexuellen Erfahrungen, mit Barts hedonistischem Lebensstil und seiner launenhaften Persönlichkeit kommt er aber nur schwer klar. Und natürlich
zerreisst es ihn bei dem Gedanken, Kate die grosse Lebenslüge zu gestehen.
«Making Love» (1982) von «Love
Story»-Regisseur Arthur Hiller gilt als erster grösserer Hollywood-Film, der sich damit auseinandergesetzt hat, was es bedeutet, wenn ein Ehepartner seine wahre sexuelle Identität verleugnet.
Recht modern, sprich mehrdimensional ist dieses ausserordentlich gefühlvolle Liebesdrama auch in seiner Beschreibung unterschiedlicher schwuler Lebensstile: Während Bart der extrovertierte Typ
ist, der lieber ständig seine Partner wechselt, statt sich auf emotionale Intimität einzulassen, strebt Zack eine stabile, monogame Beziehung an. Diese fundiertere und auch tolerantere und
mitfühlendere Beschäftigung Hollywoods mit dem Thema Homosexualität war freilich durchaus typisch für die frühen Achtziger, bevor die AIDS-Katastrophe über die Community hereinbrach und Angst und
Schrecken verbreitete. Die Idee zum Film kam Schriftsteller Scott Berg, nachdem er mehrere ehemalige Mitschüler getroffen hatte, die ihre Ehefrau verlassen wollten, um eine homosexuelle Beziehung
zu beginnen. Er betrachtete die Schwulenbewegung als das grosse Ding der Achtziger: nicht unähnlich zu dem, was der Kampf für die schwarzen Bürgerrechte für die Sechziger und der Feminismus für
die Siebziger war. Weniger enthusiastisch schienen demgegenüber die Stars zu sein, die für die Rolle von Zack angefragt wurden: Michael Douglas, Tom Berenger, Harrison Ford und William Hurt
sollen zu den Leuten gehört haben, die – aus was für Gründen auch immer – den Part abgelehnt haben. Und auch das Publikum war nicht allzu empfänglich für das heikle Thema: Mit einem
Box-Office-Ergebnis von rund 6 Millionen US-Dollar spielte der Film nicht einmal die Hälfte seiner Produktionskosten ein. Die Kritik schliesslich war geteilt: Während heterosexuelle Kommentatoren
«Making Love» mehrheitlich als langweilig oder als Kitsch abtaten, kam er bei schwulen Kritikern nicht zuletzt deshalb gut an, weil er willens war, «homosexuelle Beziehungen als gleichwertig mit
heterosexuellen» zu porträtieren, wie der Schwulenrechte-Aktivist Dennis Altman später schrieb. Jedenfalls sollte es ein knappes Vierteljahrhundert dauern, bis mit «Brokeback Mountain» wieder ein
Mainstream-Film erschien, der sich auf derart sensible und intelligente Art des Hauptthemas von «Making Love» annahm. PS: Wie sich die Zeiten – zum Guten – geändert haben, illustriert die
Warnung, die das Studio vor fast 40 Jahren meinte seinem Film vorausschicken zu müssen: «Wir glauben, dass ‹Making Love› neue Wege geht in seiner Darstellung einer jungen Managerin, deren Ehemann
wegen seiner sexuellen Identität in eine Krise stürzt. ‹Making Love› geht offen und ehrlich mit dem delikaten Thema um. Der Film ist nicht sexuell explizit. Er mag aber zu stark sein für manche
Leute. ‹Making Love› ist kühn, aber zärtlich. Wir sind stolz auf die Ehrlichkeit des Films. Wir gratulieren ihm zu seinem Mut.»
Stephen King bezeichnet sie als das «Citizen Kane» des Fernsehens, andere als dessen «Hamlet», und es ist durchaus möglich, dass sich David Lynch bei «Mulholland Dr.», David Cronenberg bei
«Spider» und die Macher der «Sopranos» von ihr inspirieren liessen. Wie kann es also sein, dass diese hochgradig innovative und genial originelle sechsteilige britische Serie aus dem Jahr 1986
derart in der Versenkung verschwunden ist? Wobei: Der grosse Publikumsrenner war dieses von Dennis Potter geschriebene und von Jon Amiel inszenierte Unikat ja schon damals in den Achtzigerjahren
nicht – was natürlich wenig wundert, ist das doch ein ziemlich irrer, bisweilen wirrer Mix, der das Potenzial hat, einen ganz kirre zu machen. So packte Potter in die nicht ganz sieben Stunden
Spielzeit von «The Singing Detective» nicht
nur Autobiografisches – allem voran die Haut- und Gelenkkrankheit Psoriasisarthritis, an der auch sein Protagonist Philip E. Marlow (Michael Gambon) leidet; sondern wie dessen Name schon mehr als
suggeriert auch Reminiszenzen an den Film noir, Musicaleinlangen mit Songs aus den Vierzigern, Rückblenden in Marlows Kindheit sowie Fiebertrips ins Fantastische und fundierte Abschweifungen ins
Psychoanalytische und damit naturgemäss einhergehend narrative Verrenkungen aller Art, mit abrupten Wechseln der Erzählebene, einem steten Switchen zwischen Traum und Realität sowie einem
mutmasslich unzuverlässigen Erzähler.
Mehr die Stimmung als das Erzählte ist es freilich, die einem hier so überaus heftig den Atem verschlägt. Vor allem dann, wenn der obendrein an einer Schreibblockade laborierende Marlow vom
Krankenbett in seine Fantasiewelt davonhalluziniert: zu einem stets mysteriös vage und letzten Endes ohne Auflösung bleibenden Krimi im Raymond-Chandler-Stil um einen singenden Privatdetektiv,
dessen Plot er immer wieder variiert und neu justiert. Oder zurück in seine Kindheit ins ländliche England der Kriegszeit, zu den Erinnerungen an den gehörnten Vater und den Suizid der Mutter.
Vollends aus dem Ruder läuft die Sache schliesslich, als sich noch eine vierte Dimension auftut, wenn der von seiner Krankheit und der Medikamentenverweigerung zusehends derangierte Zyniker
Marlow zusätzlich von seinen eigenen Figurenkreationen besucht und mitunter heimgesucht wird. Diese krude Vermischung von Traum und Wirklichkeit, das Überblenden und Ersetzen von realen durch
fiktive Personen und umgekehrt, ist es denn auch, was «The Singing Detective» nicht nur seine psychologische Tiefe verleiht, sondern eben auch Parallelen zu David Lynchs «Mulholland Dr.» (und
ebenso «Lost Highway» und «Twin Peaks») evoziert. Vergessen gehen soll darüber indes nicht, dass dies ein (Kunst)werk ist, das sich kraft seiner maximalen Einzigartigkeit dann doch jeglichem
Vergleich entzieht. Dies mussten nicht zuletzt auch die Macher des ziemlich verunglückten starbesetzten amerikanischen Filmremakes aus dem Jahr 2003 (mit Robert Downey Jr., Robin Wright, Adrien
Brody, Katie Holmes und Mel Gibson) schmerzlich akzeptieren. Ein derart bahnbrechender, in Bann schlagender, kurios-genialischer Wahnsinnsstreich wie dieser, den das British Film Institute auf
Platz 20 der 100 besten englischen Fernsehserien führt, ist weder nachahmbar noch wiederholbar.