The Reagans

 

Jetzt, wo der Winter unseres Trump-Missvergnügens endlich vorbei ist, wird es Zeit, sich den Schandtaten jenes Mannes (und der Frau hinter ihm) zu widmen, die die Basis dafür gelegt haben, dass diese Horrorshow in Orange überhaupt erst möglich wurde. Diese vierteilige Dokuserie von Matt Tyrnauer («Where’s My Roy Cohn?») hat es sich zur Herkules-, ja wohl leider zur Sisyphus-Aufgabe gemacht, den Mythos zu dekonstruieren, den Ronald Reagan um seine Person(a) kreiert und letzten Endes wohl auch tatsächlich geglaubt hat. Ohne die heute übliche bebende Empörung wird in Teil 1 gezeigt, wie der zweitklassige Hollywood-Schauspieler für sich und seine Anhänger ein – selbstredend vornehmlich weisses – Amerika heraufbeschwört und «great again» machen will, das so nur in seiner Fantasie, in seiner berüchtigt selektiven Wahrnehmung je existiert hat. Teil 2 nimmt sich sodann des scharfen Schwenks nach ganz rechts an, den der ehedem liberale Reagan vollzieht, als er sich in den frühen Sechzigern dem ultrakonservativen populistischen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater an den Hals wirft und in dessen Windschatten zum Gouverneur von Kalifornien emporsteigt, indem er der rassistischen Seele Amerikas Avancen macht und den Staat und seine vermeintlich so trägen und ineffizienten Institutionen verteufelt. Teil 3 zeigt dann auf, wie Reagan als Präsident nach und nach den New Deal von Franklin Roosevelt, von dem einst auch seine Familie profitierte, rückgängig macht, um das Land der Obhut von «Big Money» zu überlassen. Und zum Abschluss wird Reagans zweite Amtszeit beleuchtet, die etwa geprägt war vom Iran/Contra-Skandal und seiner nachlassenden geistigen Gesundheit.

Reagans Vermächtnis zu retten, obliegt – wie so vieles andere auch – schliesslich Nancy Reagan, dieser zierlichen Frau im Hintergrund mit dem betonierten Lächeln und dem versteinerten bewundernden Blick hinauf zu ihrem Göttergatten. Dass sie dabei nicht zuletzt auf die Hilfe einer Astrologin gesetzt hat, ist eine von vielen Seltsamkeiten, die das Wirken des 40. US-Präsidenten umranken. Weil Tyrnauer Doku eben «The Reagans» heisst, wird immer wieder auch auf die nicht zu überschätzende Rolle der zeitweise höchst unpopulären und so gar nicht den Puls des Landes fühlenden First Lady eingegangen, die es sich etwa nicht hatte nehmen lassen, für Abertausende von Dollars neues Porzellangeschirr für das Weisse Haus anzuschaffen, während in derselben Woche das Budget der Schulkantinen zusammengestrichen wurde. Freilich kommen hier nicht nur kritische Stimmen wie jene der Starjournalisten Robert Scheer und Lesley Stahl zu Wort, sondern auch einstige enge Weggefährten wie Ex-Aussenminister George Shultz oder glühende Verehrer wie der konservative Aktivist Grover Norquist. Sehr informative Einblicke ins Privatleben gibt derweil Ron Reagan, der Sohn von Ronald und Nancy, der offenkundige einem weit liberaleren Gedankengut anhängt als seine Eltern. An der «Abrechnung», die Tyrnauers Doku letztlich ist, will sich Ron zwar nicht lauthals beteiligen; doch will der überaus sympathisch rüberkommende Präsidentensohn, der als Journalist arbeitet, auch nichts schönreden. Und damit unterscheidet er sich doch wohltuend von den Mainstreammedien, die sich damals zu Komplizen dieses rabiaten Konservativen und dessen Radikalisierung der Republikanischen Partei machten, weil er ihnen endlich die Show bot, nach der sie so lange gelechzt hatten; und die noch heute unbeirrt seinen Heiligenschein polieren und alles Negative ausblenden: das schändliche Ignorieren der Aids-Pandemie etwa, die unermessliches Leid verursacht hat, oder die verwerfliche Faktenverdreherei, die dank genialer Inszenierung und Schauspielerei die einfachen Leute dazu gebracht hat, konsequent gegen ihre Interessen zu votieren. Und die den nachhaltigen Schaden, den dieser Mann angerichtet hat, hartnäckig ignorieren: die Schwächung der Arbeiterschaft durch die Zerstörung der Gewerkschaften, das Zündeln mit rassistischen Ressentiments, die bewusste Spaltung des Landes und die horrende wirtschaftliche Ungleichheit. Dass «The Reagans» irgendwen bekehren wird, ist bei aller handwerklichen Klasse dieser Doku zwar unwahrscheinlich. Aber obwohl nie der explizite Link in die Gegenwart gemacht wird, so ist es trotzdem gut und ratsam, sich wieder einmal in Erinnerung zu rufen, wer es eigentlich war, der die Saat für diesen Wahnsinn gelegt hat, den die USA leider noch lange nicht hinter sich gebracht haben.